Kostbarkeit in Weiß
Text: Christian Seiffert
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer
Foto Kupferstich: Erich Seiffert, Christrose, Kupferstich koloriert,1939
1939 muss mein Vater eine Christrose in seinem Atelier gehabt haben. Er war Kupferstecher, Pflanzenfreund und Gärtner. In jenem Winter oder Vorfrühling war Helleborus niger an der Reihe, als Kupferstich portraitiert zu werden.
83 Jahre später: Anfang Dezember erhielt ich eine Topf-Christrose geschenkt, Ein kleines, fast unscheinbares Pflänzchen in torfiger Erde. Es gehört zu den liebgemeinten Tragödien, dass ich ständig Pflanzen geschenkt bekomme. Doch für solch ein Wesen aus der Unterglasfabrik kann ich mein Mitleid kaum unterdrücken. Für Helleborus niger aber ganz besonders, weil es mir bislang nicht geglückt ist, eine Christrose länger als ein Jahr durchzubringen. Alle meine Versuche mit dieser Art stellen eine lange Reihe von Niederlagen dar.
Also ein neuer Versuch? Die Christrose kam aus dem kleinen Plastiktopf in einen größeren Keramiktopf. Das sah schon besser aus. Sie wurde in reine Komposterde gepflanzt, im Kalthaus aufgestellt und gut gegossen. Für diese Versorgung und die guten Wünsche war sie sichtbar empfänglich! Schon nach10 Tagen war sie nicht wieder zu erkennen. Sie strotzte vor Kraft, schob frisches Grün und viele Blütenknospen und blüht inzwischen üppig. Vielleicht werde ich sie weiter als Topfpflanze halten, genau beobachten und mit allem Nötigen versorgen.
Sie braucht, weiß ich inzwischen, einen kalkhaltigen, humosen, lehmigen Boden. Und sie braucht auch eine ganze Menge Feuchtigkeit. Nur im Hochsommer soll sie trocken stehen. Man kann eigentlich gar nicht so viel falsch machen. Und trotzdem hatte ich bislang nur Pech. Gründe dafür, auch das weiß ich inzwischen, gibt und gab es mehrere. Wo die stinkenden Nieswurze und die bunten Lenzrosen sich üppig vermehren, dachte ich, müssten ja wohl auch die Christrosen gut vorankommen. Doch weit gefehlt. Wie man in einigen Gartenbüchern nachlesen kann, ist die Christrose so einfach nicht zu handhaben. Sie braucht einen besonderen, ja behüteten Platz, halbschattig bis leicht sonnig. Und sie braucht Aufmerksamkeit. Denn, so ist in englischer Gartenliteratur zu lesen: Die jungen Blatt- und Blütentriebe gehören zur Lieblingsspeise einiger Schnecken. Aufmerksamkeit verlangt sie auch, weil das Christrosenlaub in den Sommermonaten »im Gegensatz zu anderen (Helleborus-) Arten recht unscheinbar« ist. So schreibt Hansen in »Die Stauden und ihre Lebensbereiche«. Also kann es durchaus so gewesen sein, dass ich die Christrosen in der Fülle anderer Hellebori übersehen und vernachlässigt habe, oder dass Schnecken ihnen den Rest gegeben haben. Ich schwöre Besserung! Allerdings bleibt die geschenkte »Niger« im Topf und über Winter im Kalthaus. Im Freien werde ich dieses Jahr mit einem neuen Versuch starten.
Wo wächst sie eigentlich in der Natur? Die Kenntnis davon dürfte hilfreich sein:
Die Christrose ist eine Pflanze des Alpenraumes. Allerdings wächst sie nur über Kalkgestein. Dort bildet sich ein flachgründiger, sehr nährstoffreicher »Skelettboden«, den die Bodenkundler auch »Rendzina« nennen. In solchen Böden ist sie zu Hause, ihre flach verlaufenden Wurzeln passen zu dem flachgründigen Boden. Gelegentlich kommt sie dort in größeren Beständen vor. Davon kann man im Garten nur träumen, aber mit Kompost und Dolomitkalk kommt man Helleborus niger sicher schon sehr entgegen.
Nachtrag: Helleborus niger, der Name scheint absurd bei einer so schönen weißen Blüte. Das Beiwort niger wurde aber abgeleitet von den schwarzen Wurzeln dieser Art.
Text: Christian Seiffert
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer
Foto Kupferstich: Erich Seiffert, Christrose, Kupferstich koloriert,1939