Päonien-Kinder

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Den Anfang macht ein schottischer König, der von 1248 bis 1315 lebte. Sein Name war John de Balliol, er lag im Klinsch mit dem englischen Thron, musste sogar ins Exil nach Frankreich gehen. Der Anfang meiner Geschichte heißt auch Balliol, es handelt sich um eine Paeonia lactiflora, die ich vor 20 Jahren geschenkt bekam. Ihr englischer Züchter, James Kelway, gab ihr 1907 den Königsnamen. Sie blüht einfach, ungefüllt, und gehört zu den frühesten Lactiflora-Päonien. Wenn man die Farbe beschreiben will, muss man mit dem Austrieb beginnen. Die Triebe sind anfangs dunkel braunrot, später lichten sie sich zu kräftigem Grün. Die Blüte wiederholt die Farbe des Austriebs, auch sie ist braunrot mit intensiv gelben Staubgefäßen. Die Narbe ist rot. Als einfach blühende Päonie mit stabilen Stielen braucht Balliol nicht gestützt zu werden. Und sie besitzt noch eine Eigenschaft: Da sie viel Besuch von Bienen erhält, produziert sie keimfähige Samen – es sei denn, man schneidet als »anständiger« Gärtner nach der Blüte. Von Neugierde getrieben habe ich den Anstand verdrängt und die schönen schwarzen Kerne ausgesät.

Während sie keimen, erzähle ich noch etwas über die Herkunft von Balliol. Ich bekam sie nach einem Interview für »Blick über den Zaun« bei den Kloses in Lohfelden bei Kassel geschenkt. Die Staudengärtnerei Heinz Klose hatte zur Jahrtausendwende fast 700 Päonien-Sorten und –Arten. Ich hab es im Katalog nachgezählt. Von den 419 Paeonia lactiflora stammten allein 46 Sorten von dem britischen Züchter James Kelway. Kelway gründete 1851 einen Gartenbaubetrieb, der vom Sohn und später einem Enkel weitergeführt wurde. Im Kelway-Katalog von 1884 standen 63 einfach blühende und 41 gefüllte Päonien aus eigener Züchtung. Balliol entstand erst 13 Jahre später.

Zurück zu den Sämlingen. Es braucht eine ganze Reihe von Jahren, bis sie endlich blühen. Und dann passiert es, dass die erste Blütenknospe eines Sämlings, von einem Hagelkorn getroffen, abgeknickt wurde. Zwei Balliol-Kinder aber haben es geschafft. Sie blühen einfach, rosa mit gelben Staubgefäßen. Sie duften wunderbar und werden eifrig von Wildbienen besucht. Natürlich werde ich sie behalten, mich an ihnen erfreuen. Neben den üppig gefüllten, herrlichen Lactiflora-Päonien, sind sie eine aparte Abwechslung. Ich habe nicht die Absicht, den tausenden Päoniensorten noch welche hinzu zu fügen. Das werden noch lange die Züchter machen.

Die werden zwar Zufallssämlinge auch nicht verachten, aber ansonsten kreuzen und auslesen, was bei den gefüllten Päonien sicher nicht so einfach ist wie bei den offenblühenden. Die Unterschiede meiner Päonien sind kaum wahrnehmbar. Erst bei genauerem Betrachten entdeckt man, dass der Stempel der einen weiß ist, optisch zwischen den gelben Staubgefäßen verschwindet, während die andere die rote Narbe der Mutter geerbt und sogar vergrößert hat. Sagt sie mit dem Rot in der Mitte nicht »schau mich an«?

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert