Gebremste Natur

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Seit vielen Tagen werden wir, zumindest in Süddeutschland, von starken Nachtfrösten belästigt. Bei minus 5, minus 6 Grad, da hört die Gemütlichkeit auf, vor allem, weil es auch tagsüber nicht richtig warm wird. So kommt aus dem z. Z. frostigen Osten auch noch Frost aus dem Osten, hergeleitet durch ein massives, feststehendes Hoch über Südskandinavien.

Die Natur, der Garten stagnieren. Winterlinge und Schneeglöckchen danken schon ab, Primula vulgaris ssp. sibthorpii, die Karnevalsprimel, blüht trotz allem an sonnigen Stellen. Sorgen könnte man sich machen bei Crocus tommasinianus, dem Elfenkrokus. Tagsüber offene Blüten, nachts wieder geschlossen bei Frost – und das seit 10 Tagen. Aber die Krokusse sind ja längst bestäubt, haben ihre Aufgabe erfüllt. Was sie jetzt noch zeigen, ist eine Zugabe für uns Menschen. Zu erwähnen sind auf jeden Fall die Lenzrosen, Helleborus x orientalis und die Nieswurze, Helleborus foetidus, die an sonnigen Plätzen einige ihrer Vorboten blühen lassen.

Wann geht es nun wieder richtig los in der Natur?

Die Agrarmeteorologen haben eine mystische Zahl erfunden: die 200! Ab 200° heißt es, beginnt das Gras zu wachsen. Was sehr komisch klingt, man versteht es erst, wenn einem gesagt wird, dass diese 200 gesammelte Temperaturen sind. Vom 1. Januar an. Man sammelt alle positiven Tagesmittelwerte des Monats Januar und multipliziert sie mit 0,5. Dann werden die Tagesmittelwerte des Monats Februar mit 0,75 multipliziert. Schließlich kommen die Daten des März hinzu, die in Gänze genommen werden, bis, ja bis alles zusammen die 200 ergibt. Wann diese »Grünland-Temperatursumme« erreicht wird, richtet sich nach dem Klima eines Standortes und nach der Witterung zwischen Januar und März. Wiesen am Niederrhein beginnen eher zu treiben (dort beginnen auch immer die ersten Schneeglöckchen zu blühen) als die Wiesen im Allgäu, nach einem langen, kalten Winter werden hier die 200 erst im April erreicht. Warum nun ist diese Zahl für die Landwirtschaft wichtig? Sie ist sozusagen die Freigabe für die beginnende Feldarbeit, vor allem für die Düngung der Grünflächen. Vielen Bauern mit Rinderhaltung laufen die Güllebehälter über, sie wollen die Gülle endlich ausbringen. Dafür aber ist es vor »200« zu früh. Der enthaltene Stickstoff könnte weder von den Pflanzen noch vom Boden fixiert bzw. aufgenommen werden. Er würde ausgewaschen und das Grundwasser verseuchen. Außerdem wäre es eine maßlose Verschwendung wertvollen Düngers. Ab 200 gesammelten Temperaturgraden, mit beginnender Aktivität der Bodenmikroorganismen kann und darf man nun die Gülle ausbringen, wenn man dabei Maß hält.

Bauern mit Erfahrung und offenen Augen allerdings brauchen kein »Signal 200« vom Landwirtschaftsamt. Sie haben den phänologischen Blick und wissen: Wenn draußen die Weiden blühen und in den Gärten die Forsythien, dann können sie loslegen.
Den Garten- und Gemüsefreunden juckt es natürlich schon lange vor der Forsythienblüte in den Fingern. Mit der Unterglasgärtnerei und auf dem Fensterbrett kann man seine Ungeduld etwas abreagieren.
Zurück zur gebremsten Natur: Wenn man auch Himmelschlüssel und Buschwindröschen kaum erwarten kann, so sollte man doch dankbar dafür sein, dass die in Januar und Februar maßlos vorauseilende Natur wieder etwas ins Lot gerückt wurde.
Immerhin, im Garten öffnen die Leberblümchen, Hepatica nobilis ihre Blüten, und auch der Seidelbast, Daphne cneorum blüht, braucht aber etwas mehr Wärme, um auch richtig zu duften.

 

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Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert