Vorfrühlingssturm

Ein Beitrag von

Lange herrschte Hochdruckwetter. Hier in Südbayern verursachte es viel Nebel, die Sonne schaffte es allenfalls am Nachmittag, das Grau zu durchdringen. An manchen Tagen schien sie aber doch von morgens bis abends – ließ dabei aber kein Wohlgefühl aufkommen. Zwar zeigte das Thermometer +12°C an, aber die Luft war trotzdem eisig. Das empfanden auch die voreiligen Vorfrühlingsblüher so, sie verharrten in Resignation, schienen ihr frühes Erscheinen zu bereuen.

Dann kam die Wende

Das Hoch wurde von einem Sturmtief nach Osten abgedrängt. Weiten Teilen Deutschlands brachte das Regen und Sturm, hier blieb uns der Regen erspart, nicht aber der Sturm. Und nun passierte etwas Merkwürdiges. Trotz niedrigerer Temperaturen entstand eine Luft, die Menschen, Tiere und Pflanzen mit Lebensfreude erfüllte. Alt und Jung waren nicht nur in Faschingslaune sondern auch in Frühlingsstimmung. Im Garten tummelte sich der erste Schmetterling, ein Fuchs, aber welcher, der Große oder der Kleine? Die Begegnung war zu kurz.
Aber nun die Gartenwelt: Geradezu über Nacht blühen die ersten Schwertlilien, die kleinen Iris reticulata, am 18. Februar! Die Hellebori, die Orient-Hybriden wie die Stinkenden Nieswurze, blühen schon seit 14 Tagen, aber auch ihnen gefällt es bei diesem Wetter besser. Die Frühlings-Alpenveilchen, Cyclamen coum, vorher versteckt, zeigen auf einmal ihre ganze Pracht. Und es sind mehr geworden, auch an unerwarteten Stellen. Unter dem Apfelbaum kann man nur noch mit größter Vorsicht entlang gehen. Dass dort ein paar Hundert Winterlinge, Eranthis hyemalis stehen, waren wir gewöhnt. Nun aber stehen dazwischen zahlreiche einzelne Schneeglöckchen, jede Menge Sämlinge, offenbar ein Werk der Ameisen. Gewöhnlich haben wir die Schneeglöckchen-Horste nach der Blüte geteilt, um sie zu vermehren, jetzt machen das auf elegante Art die Ameisen.

Warum verschleppen Ameisen Schneeglöckchensamen? Weil diese Samen, wie auch die vieler anderer Frühlingsblüher, ein nährstoffreiches Anhängsel haben, das Elaiosom, so nennen es die Biologen. Es enthält Fette und Eiweiße, maßgeschneidert für die Bedürfnisse der Ameisen. Sie transportieren die Samen bis zu ihrem Bau oder verzehren die Leckerbissen schon unterwegs. Die eigentlichen Samen sind für sie Abfall, gelangen dadurch aber an ziemlich weit entfernte Standorte, wo sie im günstigen Fall keimen.

Kommen wir auf den Elfenkrokus, Crocus tommasinianus zu sprechen. Auch er steht aufregend früh in voller Blüte. Und wieder sind es mehr als im Vorjahr und wieder an unmöglichen Stellen. Was haben diese schönen, zierlichen Krokusse auf den Wegen zu suchen? Wieso stehen sie plötzlich zwischen den Beetstauden, wo sie schon aus pflegerischen Gründen gar nicht hinpassen? Nun, auch hier sind die Ameisen tätig gewesen, haben sich sattessen können und dazu noch ein gutes Werk getan. Ist es nicht aufregend, wie Pflanzen und Tiere kooperieren, aufeinander angewiesen sind? Viele Samen gehen durch die Tiermägen, andere hängen sich ins Fell und werden so verschleppt. Aber das Elaiosom ist schon von besonderer Raffinesse!

Nachwort

Heute haben wir den 26. Februar. Es hat über Nacht geschneit. Am Morgen zeigte das Thermometer – 4°. Ein Hoch über den britischen Inseln und ein Tief über dem Baltikum pumpen mit vereinter Kraft Eiseskälte über unsere Vorfrühlingslandschaft. Die gleiche Situation spielt sich bei den Eisheiligen ab. Da können die Folgen noch schlimmer sein.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
Mehr lesen

Text und Fotos: Christian Seiffert