Die Blume des Zeus und der Schreck der Schwiegereltern
Text: Antje Peters-Reimann
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer
Lange zählten Nelken neben Rosen und Tulpen bei uns zu den beliebtesten Schnittblumen. Kein Wunder, denn ihre Vielfalt fasziniert! Allerdings sind sie in den letzten Jahrzehnten ein wenig aus der Mode gekommen. Das ist schade, denn sie sind nicht nur schön anzusehen, sondern gerade ihre Symbolik hat unsere Vorfahren seit Jahrhunderten fasziniert. Ihr botanischer Name »Dianthus« kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt Gottesblume oder »Blume des Zeus«.
Schon die alten Römer kannten sie. Nach einem Mythos des Dichters Ovid ist sie folgendermaßen entstanden: Die Göttin Diana hatte ohne Erfolg gejagt und war entsprechend schlecht gelaunt. Als sie auf einen musizierenden Hirten stieß, warf sie ihm vor, mit seiner Musik das Wild verscheucht zu haben. Aus Zorn riss sie ihm beide Augen aus und warf sie fort. Doch sie bereute ihre Tat und verwandelte die Augen des Unglücklichen in die schönen Blüten der Nelke. Ihr französischer Name »oeillet«, Äuglein, erinnert uns noch heute an diesen antiken Mythos.
Entdeckt wurde die Nelke durch römische Soldaten, und Kreuzritter brachten sie einige Jahrhunderte später auch in nördlichere Gefilde. Hier machte sie bald als Zierpflanze von sich reden. Auf Bildern des Mittelalters und der Renaissance wurde sie zum Zeichen des Ehebunds und der Verlobung. Die Nelke war aber auch als rein dekoratives Element beliebt. Sie schmückte Kirchenwände, wurde zum zentralen Element von Stillleben und war auch für Künstler späterer Zeiten wichtig.
Im deutschen Sprachraum nannte man die Nelke im Mittelalter »Nägelin«. Das beruht eigentlich auf einer Verwechselung. Die Blütenform ähnelt nämlich der Gewürznelke, die in getrocknetem Zustand wie ein Nagel aussieht. Und so wurde die Nelke zum Symbol des Leidens Christi, der ja mit Nägeln (= Nägelin) ans Kreuz geschlagen wurde. Auch in Leonardo da Vincis Bild »Madonna mit der Nelke« greift das Christuskind nach einer Nelke. Sie ist hier Symbol seines kommenden Opfertodes am Kreuz. Botanisch haben Nelke und Gewürznelke jedoch überhaupt nichts miteinander zu tun!
In der französischen Revolution waren rote Nelken ein Sinnbild für Widerstand: Adelige trugen sie auf dem Weg zu Guillotine, um ihre Verbundenheit mit dem Königtum zu demonstrieren. Und was wäre die Arbeiterbewegung ohne das Symbol der roten Nelke? Hier ist sie erneut das Zeichen für den Widerstand. Beim internationalen Sozialistenkongress 1889 in Paris verwendeten die Anhänger der Arbeiterbewegung die rote Nelke im Knopfloch als Erkennungschiffre. Auch in der DDR wurde dieses sozialistische Erkennungszeichen zu feierlichen Anlässen gern am Revers getragen. Deshalb sahen es konservative bürgerliche Familien früher nicht gern, wenn ihnen der zukünftige Schwiegersohn einen Strauß roter Nelken mitbrachte.
Während der Zeit der Studentenbewegung 1968 jedoch galt die Nelke für viele als ein Zeichen von Spießigkeit und Kleinbürgertum, weshalb sie aus unseren Häusern verschwand. Erst mit der »Retro-Welle« der jüngsten Zeit, die die 50er und 60er Jahre für sich neu entdeckt, findet die Nelke wieder den Weg in unsere Haushalte. Besonders großblütige Edel-Nelken in Knallfarben wie Pink, Gelb und Orange sind gefragt wie nie. Nelkenblüten schwimmen wieder in Glasschalen mit Wasser oder werden mit grüner Steckmasse zu bunten Blumenkugeln verarbeitet. Die »göttliche Blume« hat wieder in die heutige Lebenswelt zurückgefunden und wird dieser sicher auch weiterhin mit ihrer farbenfrohen Vielfalt und ihrem sinnlichen Duft erhalten bleiben. Und wer sie einmal gesehen hat, wird immer von ihr begeistert sein.
Text: Antje Peters-Reimann
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer