Liebhaber des Halbschattens

Text: Ludwig Fischer
Fotos: Gerlinde Sachs, Staudengärtnerei Gaißmayer

Dicht bei dem großen, denkmalgeschützten Fachwerkshaus des Hofs, einem 'Niedersachsenhaus' von 1649, steht eine Reihe von Obstbäumen, die deutlich überaltert sind – ein krebsiger Apfelbaum, der aber immer noch reichlich Früchte trägt; zwei Zwetschgenbäume, halb schon Ruinen, aus deren Wurzeln Schossen von Wildpflaumen gewachsen sind; ein sparriger Mirabellenbaum, und – weit über die gepflasterte Terrasse gewölbt und fast bis ans Reetdach reichend – ein riesiger Süßkirschenbaum.

Am Saum dieser Reste des alten Obstgartens habe ich ein langes, schmales Beet mit Schatten- und Waldrandkräutern angelegt. Immer wieder erfahre ich bei den Führungen, dass die meisten Besucherinnen und Besucher überrascht sind, wie viele schöne und interessante Kräuter den Halbschatten lieben. Das gilt nicht nur für den Waldmeister (Galium odoratum) und seinen größeren Vetter, den Turiner Waldmeister (Asperula taurina), nicht nur für den Tüpfelfarn (Polypodium vulgare) und das Maiglöckchen (Convallaria majalis), nicht nur für das Leberblümchen (Hepatica nobilis) und das Salomonssiegel (Polygonatum odoratum oder die hohe, auffällige Art P. biflorum).

In meinem Halbschattenbeet habe ich eine ganze Reihe weiterer heimischer Wald- und Waldrandkräuter versammelt, so den Wald-Ziest (Stachys sylvatica), die weiße Taubnessel (Lamium album) und die Wald-Anemone (A. sylvestris). Die Arten dürfen sich ausbreiten, so lange sie sich nicht gegenseitig erdrücken. Es ist, mit den zum Teil flächigen Beständen, eine ganz 'naturnahe' Waldrand-Flur entstanden. Nicht nur im Frühjahr, wenn die verschiedenen Anemonen, der Waldmeister, der Wald-Mohn (Hylomecon japonicum) und der faszinierende Purpur-Wiesenkerbel (Anthriscus sylvestris 'Ravens Wing') – zierliche, weiße Dolden über fast schwarzem, gefiedertem Laub – eine Blütensymphonie unterm noch lichten Laub der Bäume veranstalten, ist mir dieser Kräutersaum besonders lieb.
Denn auch im Sommer und noch im Herbst hat er viel zu bieten: Monatelang leuchten immer neue, gelbe Blüten des Schein-Waldmohns (Meconopsis cambrica) auf schwankenden Stängeln, er sät sich überall hin aus, wie die Nessel-Glockenblume (Campanula trachelium), die eine Fülle dunkelblauer Glocken trägt. Und von Ende Juli an schiebt die mächtige, großblättrige Staude des Gelben Salbei (Salvia glutinosa) an langen, hohen Stielen große, gelbe Lippenblüten nach. Nebenan hebt der kaum kleinere Wald-Geißbart (Aruncus dioicus) seine filigranen Blütenrispen. Im September schließlich strahlen die schneeweißen Blütenkerzen der dunkellaubigen Silberkerzen (Cimicifugia simplex 'Atropurpurea') selbst in der Dämmerung noch herüber.

Im Halbschatten kann man auch mit Kräutern attraktive Partien gestalten und muss nicht zu einer 'Notbegrünung' mit robusten Geranium-Arten und ein paar Farnen greifen. Und dass Funkien (Hosta) nun definitiv nicht als 'Kräuter' gelten können und also beim gestrengen Kräutergärtner ausscheiden, macht gar nichts.

Ludwig Fischer
Garten und Literatur Bis Ende 2017 berichtete Ludwig Fischer aus seinem großen Kräuter-Schaugarten in Benkel nahe Bremen, von dem er Abschied nahm, um sich von nun an stärker aufs Schreiben zu konzentrieren.
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Text: Ludwig Fischer
Fotos: Gerlinde Sachs, Staudengärtnerei Gaißmayer