Wunderblumen

Man geht an ihnen vorüber, würdigt sie keines Blickes: schlappblättrige Stauden mit welken Blüten. Wozu stehen sie da? Die ersten davon begegneten mir auf Menorca. Und die Leute dort nennen sie „Dame de Noce“. Im Pflanzenlexikon steht der französische Name „Belle de Nuit“, was das gleiche bedeutet, vorausgesetzt, die Dame ist eine Schönheit.

Man muss also warten, bis aus dem welken und blütenlosen Etwas eine „Dame der Nacht“ oder eine „Schöne der Nacht“ wird. Und das geschieht kurz vor einsetzender Dämmerung. Damit man sie auch bei Tageslicht betrachtet kann, lässt sie ihre Blüten gnädiger Weise manchmal bis 11 Uhr morgens offen. Man kann sie also ohne Restlichtverstärker fotografieren!

Ein zweites Mal begegnete mir das flittrige Nachtwesen im Spreewald, auf dem Gehöft eines Fährmannes. Seine Frau nannte mir ihren Namen, schlicht und nüchtern: Wunderblume. Und sie gab mir gleich ein paar Samen, die in Massen schwarz und schwer am Boden lagen.

Ein Blütenwunder in dreifacher Hinsicht

Wunderblume? Was hat es damit auf sich? Dass sie nachts blüht? Das machen viele Blumen. Dass sie nachts sehr intensiv duftet? Auch das können zahlreiche Blumen. Als Wunder empfinden die meisten Menschen wohl den Umstand, dass ein und dieselbe Pflanze gelbe und dunkelrote Blüten tragen kann, dazu vielleicht auch noch Blüten, die beide Farben vereinen, entweder zu einem feinen Rotgelb-Gemisch oder klar abgesetzt, die eine Hälfte rot, die andere gelb. Dann gibt es aber auch rein dunkelrot blühende Exemplare oder rein gelbe, auch weiße.

Ein wenig Botanik

Die Gattung heißt Mirabilis, zu deutsch: wunderbar oder bewundernswert. Die Art, von der hier die Rede ist, heißt gemeinhin Mirabilis jalapa. Doch das stimmt so nicht ganz! Denn mehrfach wird in der Literatur Mirabilis jalapa als nicht duftend bezeichnet. Intensiven Duft dagegen strahlt die ebenfalls nachts blühende Mirabilis longifolia aus. Des Rätsels Lösung: Die beiden Arten wurden miteinander gekreuzt.

Beide Arten stammen aus dem westlichen tropischen bis subtropischen Amerika. Und sie gehören zu der Familie der Nyctaginaceen. Dieser Familienname sagte nicht all zu viel, gehörte nicht auch die Bougainvillea dazu. Nun haben die violetten oder roten Hochblätter der Bougainvilleen überhaupt keine Ähnlichkeit mit den Blüten der Wunderblumen. Können sie ja auch nicht. Die eigentlichen Blüten, immer drei und hellgelb sind klein und unscheinbar.

Vergleicht man die mit Mirabilis, dann ist die Verwandtschaft offensichtlich. Auch duften die Bougainvilleen bekanntlich nicht. Das brauchen sie auch nicht, denn die Bestäubung wird von den Kolibris betrieben. Vögel aber haben keinen Geruchssinn. Bedauernswerte Geschöpfe! Sie werden vor allem von Farben und Formen angelockt.

Ein nächtliches Parfum der Extraklasse

Unsere Wunderblume dagegen ist ganz und gar auf den Besuch anderer Nachtgeschöpfe eingestellt. Es sind vor allem große und kleine Nachtfalter und Schwärmer, die ähnlich den Kolibris vor und über den Blüten schweben und mit ihren langen Rüsseln den Nektar saugen. Die Bestäubungsleistung ist perfekt, der Samenanfall enorm.

Und wir Menschen, wir genießen den nächtlichen Duft, der durch den ganzen Garten zu schweben scheint. Vergleichbar ist der Duft mit dem der Nicotiana-Arten, obwohl er eher etwas frischer, säuerlicher ist, manche Menschen an Orangen erinnern, während Nicotiana alata und Nicotiana sylvestris einen schwereren, dumpferen Duft aufweisen.

Ein paar Hinweise zu Aufzucht und Anbau

Samen bekommt man heute in guten Fachgeschäften. Ausgesät wird unter Glas im März und April. Ist die Nachtfrostgefahr vorüber, kann ins Freiland ausgepflanzt werden. Die Wunderblumen brauchen viel Platz, etwa eine Fläche von 75 x 75 cm. Sie wachsen auf jedem Gartenboden, besonders gut gedeihen sie aber offensichtlich im Sand.

Im Spätherbst kann man die dicken Rüben der Wunderblumen ausgraben und frostfrei in trockener Erde überwintern, so wie man es auch bei den Dahlien macht. Im nächsten Jahr hat man dann viel größere Pflanzen, vor allem aber kann man die schönsten Farbkombinationen erhalten und sich von den weniger schönen trennen.