Nachtkerzen: Nächtliche Freuden

Im heimatliche Garten der Kindheit durften drei Wildpflanzenarten fast nach Belieben wachsen. Zwischen Spargelbeeten, Gemüse und Obst standen immer ein paar Eselsdisteln, verschiedene Königskerzen und die Nachtkerzen, von denen ich später immer glaubte, es handele sich um Oenothera biennis.

Näherte sich die Sonne dem Horizont, übten die Nachtkerzen auf mich eine besondere Anziehung aus. Das Schauspiel der sich im Zeitraffer öffnenden Blüten war genauso aufregend, wie die Nachtfalter, die Schwärmer, die von den duftenden und hell leuchtenden Blüten angezogen wurden. Der Duft war wohl auch das wichtigste für mich pubertären Knaben: es roch nach Mädchen, oder wenigstens so, wie ich mir Mädchen vorstellte! Wenn ich allerdings den Duft mit dem Verstand eines Alten zu beschreiben versuche, dann kommt dabei „fruchtig, animalisch, säuerlich-frisch“ heraus, und das entspricht ja fast den jugendlichen Eindrücken.

Die Gattung Oenothera ist in Nordamerika zu Haus. In Deutschland begann sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts ihren Siegeszug, zunächst in Gärten, dann aber als überaus aktiver Neophyt draußen auf Ruderalstandorten, und dort gern auf Sanden. Haben Auswanderer Samen davon nach Haus geschickt, weil sie gelernt hatten, dass die Wurzeln ein schmackhaftes Gemüse abgeben? Oder hat man das erst hier festgestellt? Eine verlässliche Quelle dazu habe ich nicht gefunden. Aber einige Namen, z. B Schinkenwurz und Schinkensalat. Der Apotheker Pahlow schreibt in seinem Heilpflanzenbuch, dass man die Wurzeln in Scheiben geschnitten, und mit Essig und Öl und etwas Fleischbrühe angedünstet habe. Ein Sprichwort damals: Ein Pfund von der Wurzel gibt mehr Kraft, als ein Zentner Ochsenfleisch.

Wenn man heute im „Bildatlas der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands“ (Henning Haeupler, Thomas Muer) unter Oenothera nachschlägt, muss man mit Erstaunen und Entsetzen feststellen, dass bei uns 30 verschiedene Arten vorkommen, die für den Laien alle ziemlich gleich aussehen. Ist nun jede Art davon getrennt nach Europa gekommen? Oder hat sich eine Art so aufgespaltet? Da die Genetik der Nachtkerzen äußerst kompliziert ist, muss man mit allem rechnen. Dabei sind die Oenotheren weitgehend Selbstbestäuber, die Narbe wird oft schon vor dem Aufblühen mit Pollen versorgt. Und trotzdem dieser Lockapparat mit viel Duft und leuchtender Farbe!

Eine Art kann auch der Laie von den übrigen unterscheiden: Es ist die in Bayern häufig vorkommende Oenothera glazioviana, die Rotkelchige Nachtkerze. Ihre Blüten sind sehr viel größer, als bei den übrigen Arten, die Knospen sind rot und auch der Stängel ist rot getupft. Auf nahrhaftem Boden wird diese Nachtkerze bis 2 m hoch.

In meinem Brandenburger Garten kam es zur Fremdbestäubung durch Oenothera x (Oenothera biennis?). Die daraus entstandenen Kinder waren etwas ungewöhnlich: statt normal 2jährig, wie es sich für Nachtkerzen gehört, blühten die schon im ersten Jahr! Man kann mit Nachtkerzen also einiges erleben.

Alle Oenothera biennis-Typen bilden reichlich Samen und sorgen so für ihre Verbreitung. Sie tauchen hier und da im Garten auf, sind rechte Wanderpflanzen. Wo man sie nicht brauchen kann, muss man jäten. Eine gewisse Vorsicht ist beim Kompost angebracht, man sollte die Stiele mit den reifen Samenkapseln wo anders entsorgen. Komposterde kann sonst ein enormer Verbreiter von Nachtkerzen werden.

Erfreulicher Weise gibt es nicht nur zweijährige Wandernachtkerzen, sondern auch standorttreue Stauden, d.h. standorttreu mit Einschränkungen. Da gibt es nämlich eine rosa blühende Oenothera speciosa. Eine durchaus attraktive Staude, leider aber mit hemmungslosem Ausbreitungsdrang, was sich z. B. in einem Steingarten ziemlich verheerend auswirkt. Solche Wucherstauden brauchen einen Platz, an dem sie sich austoben können, z. B. zwischen sonnigem Gehölzrand und Weg.
Die übrigen Staudennachtkerzen zeigen ein braves Verhalten, sind für das Staudenbeet, vor allem aber für Freiflächen gut geeignet, solange die Böden einen guten Wasserabzug haben.

Den Oenothera-biennis-Typen noch am ähnlichsten sind die Sorten von Oenothera tetragona, heute neu Oenothera fruticosa ssp. glauca. So bekannte Sorten wie 'Hohes Licht' und 'Sonnenwende' befinden sich darunter oder 'Erica Robin' mit rosa und gelb gepunkteten Winterrosetten. Alle Sorten blühen an aufrechten Stängeln mit leuchtend gelben, manchmal goldgelben Blüten, je nach Sorte, von Juni bis September. Dem Boden aufliegend blühen dagegen die Sorten von Oenothera macrocarpa, die bislang Oenothera missouriensis hieß. Ideal für Steingärten, Trockenmauern, aber auch für Trog- oder Balkondauerbepflanzung.

Bei den ca. 200 Arten, die in Amerika wild vorkommen und den merkwürdigen genetischen Verhaltensweisen dieser Gattung sollte es eigentlich nicht wundern, wenn noch einige neue Arten, Sorten und Hybriden in unsere Gärten Eingang fänden.

Übrigens: Die Weidenröschen, bei uns heimisch (ca. 19 Arten!), sind mit den Nachtkerzen nah verwandt, gehören in dieselbe Familie. Und man muss wissen, dass auch die Fuchsien dazu gehören, eine Gattung, die in Südamerika vor allem von Kolibris bestäubt wird, bei uns machen das ersatzweise die Hummeln.


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