Wir raspeln Süßholz
Text: Angelika Traub / Dieter Gaißmayer
Fotos: Dieter Gaißmayer / Staudengärtnerei Gaißmayer
Angelika Traub (AT): Lieber Dieter, im Spätsommer war ich in den Niederlanden und entdeckte in einer weitläufigen Staudenpflanzung von Piet Oudolf mehrere Exemplare einer attraktiven, irgendwie exotisch anmutenden Pflanze. Trotz stattlicher Höhe waren sie wohlproportioniert, feingliedrig und transparent. Oudolf hatte sie als Gerüstbildner wirkungsvoll an verschiedenen Stellen in den Staudenbeeten platziert. Was war das? Dann machte es »klick«, natürlich, das ist ja das Chinesische Süßholz (Glycyrrhiza yunnanensis)! Mit seinem standfesten, harmonischen Wuchs, rötlichen, elegant gebogenen Stielen, gefiedertem Laub, und vor allem den attraktiven gezackten, rötlich bestachelten Samenständen ist es eine richtige Schönheit. Warum nur, dachte ich, wird das Gestaltungspotenzial dieser schönen Exotin hierzulande offensichtlich unterschätzt?
Dieter Gaißmayer (DG): Ja, da magst Du recht haben, man sieht die chinesische Form trotz ihrer Attraktivität relativ selten. Übrigens ist die Pflanze im Winter fast am schönsten, wenn das Laub abgefallen ist, kommen die Samenstände wunderbar zur Geltung, auch für die Floristik ist sie deshalb ein toller Tipp. Dass sie nicht häufiger zu sehen ist, liegt vermutlich an der etwas schwierigen Vermehrung.
Aber – ohne Deine Begeisterung dämpfen zu wollen, mein Herz schlägt trotzdem mehr für das Echte Süßholz, das ursprünglich aus Kleinasien über den Mittelmeerraum in unsere Breiten gelangte – auch wenn es, das geb‘ ich zu, nicht so schön ist wie das chinesische.
AT: Und warum schlägt Dein Herz gerade für das weniger schöne?
DG: Du weißt ja, mein erster Beruf war Drogist. Aroma- und Heilpflanzen gehören nach wie vor zu meinen Leidenschaften. Und Glycyrrhiza glabra, das Echte Süßholz, ist eine uralte Nutz- und Heilpflanze, deren Anbau hierzulande besonders der Gärtnerstadt Bamberg bis ins 19. Jahrhundert hinein Ruhm und Wohlstand brachte. Wie bedeutend Süßholz war, sieht man daran, dass es den ersten Stadtplan von Bamberg, den Zweidlerplan von 1603, zierte. Schon im Mittelalter handelte man damit, und zwar weit über die deutschen Grenzen hinaus, u. a. wurde nach Ungarn, Holland und Österreich exportiert. Erst als im 19. Jahrhundert Rohr- und Rübenzucker zum Süßen eingesetzt wurden, besiegelte das den Niedergang des Süßholz-Anbaus.
Meine besondere Beziehung zum Süßholz hat übrigens auch mit Bamberg zu tun.
AT: Nun bin ich neugierig geworden. Erzählst Du mir mehr darüber?
DG: Aber gern! Begonnen hat alles im Jahr 2010. Da gründete sich die Bamberger Süßholzgesellschaft im Rahmen des Modellprojekts »Urbaner Gartenbau«. Auf dem Gelände des Gärtner- und Häckermuseums hatte das Süßholz die Jahre des nicht feldmäßigen Anbaus zum Glück überlebt. So konnte die Jungpflanzenvermehrung von dort aus starten und der Anbau auf einigen historischen Gärtnerflächen wieder aufleben. Von diesem Projekt erfuhr ich durch meine langjährigen Freunde von der Bamberger Kräutergärtnerei Mussärol.Mussärol ist ein altes Bamberger Dialektwort für Majoran, der wurde in Bamberg, wie das Süßholz, lange großflächig angebaut und vermarktet. Ich bin ja nicht nur Kräuter- und Heilpflanzen-Liebhaber, auch die Bewahrung historischen gärtnerischen Kulturguts liegt mir sehr am Herzen. Mit anderen Worten, ich war sofort dabei und wurde Mitglied.
AT: Und wie ging es dann weiter?
DG: Auf einigen Flächen konnten die gewonnenen Setzlinge gepflanzt werden, u. a. im Schaukräutergarten von Gerti Leumers Gärtnerei Mussärol, die das Projekt ja mit ins Leben rief.
Geerntet wird übrigens traditionell im Spätherbst, wenn die Wurzeln die meisten Süßstoffe enthalten. Gerade fand die diesjährige Ernte statt, ich war dabei und habe, wie man sieht, ein paar Fotos mitgebracht. Gestochen werden nur Nebenwurzeln und Ausläufer. Die Hauptwurzel, eine tief reichende Pfahlwurzel, bleibt unangetastet. Das will fachgerecht ausgeführt sein, in früheren Zeiten war das Stechen der Süßholzwurzeln deshalb ein regelmäßiger Bestandteil der Meisterprüfung.
AT: Und wie geht es mit dem Erntegut dann weiter?
DG: Ja, bis zum (nicht nur) sprichwörtlichen Süßholzraspeln dauert es noch ein wenig. Nach dem Lesen werden die Wurzeln grob gereinigt, dann gewaschen und sortiert. Die etwa bleistiftstarken Süßholzwurzeln, die sogenannten Fechser, werden zu ca. 7 cm langen Stiften geschnitten und in Schächtelchen, die ein Bamberger Künstler gestaltete, als Süßholz-Souvenir angeboten. Die übrigen Ausläufer werden weiterverarbeitet und mittels einer Spezialmaschine zu geraspeltem Süßholz verarbeitet.
AT: Eine schöne Idee, und was kann man noch alles aus Süßholz machen?
DG: Um die Rückbesinnung auf diese uralte, einmal so bedeutende Nutzpflanze auch einprägsam erleb- und schmeckbar zu machen, werden noch einige weitere Produkte wie aromatische Tees, geraspeltes Süßholz und Süßholzpulver angeboten, die an verschiedenen Verkaufsstellen in Bamberg, zum Beispiel im Gärtner- und Häcker Museum, über die Bamberger Süßholzgesellschaft und natürlich in der zu den Initiatoren der Süßholzgesellschaft gehörenden Kräutergärtnerei Mussärol bestellt werden können.
AT: Eigentlich könnte man doch auch eine eigene Süßholzpflanzung im Garten versuchen, wenn der Standort passt?
DG: Wer experimentierfreudig ist und die richtigen Bedingungen im Garten hat – warum nicht! Man braucht halt einen tiefgründigen, fruchtbaren, eher feuchten Boden, einen sonnigen bis höchstens absonnigen Standort und sollte wissen, dass man genug Platz einplanen muss, denn Glycyrrhiza glabra ist sehr ausbreitungsfreudig.
AT: Hm, Platz hab‘ ich ja wirklich, ich denk mal drüber nach. Es ist jedenfalls schön zu erfahren, dass es Menschen gibt, die sich der Wiederbelebung dieser alten Tradition verschrieben haben.
Kleine Süßholzkunde
Schon im Alten Ägypten und Griechenland wurde das Echte Süßholz wegen seiner Heilwirkung und als Süßungsmittel geschätzt. Auch in der Traditionellen Chinesischen Medizin ist es von großer Bedeutung. Süßholztee aus kleingeschnittenen, geraspelten Süßholzwurzeln wird bei Erkrankungen der oberen Atemwege, Magen- und Darmbeschwerden eingesetzt.
Süßholz enthält unter anderem Glycyrrhizin, das in unserem Körper eine ähnliche Wirkung wie die körpereigenen Hormone Kortison und Aldosteron hat, es kann den Blutzuckerspiegel senken und den Elektrolythaushalt des Körpers positiv beeinflussen.
Glycyrrhizin ist fünfzigmal süßer als Zucker ist. Daher wird die Süßholzwurzel seit jeher als Süßungsmittel verwendet. Aus dem eingedickten Saft der Wurzeln wird Lakritz hergestellt. Das Hauptanbaugebiet ist der Vordere Orient.
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Text: Angelika Traub / Dieter Gaißmayer
Fotos: Dieter Gaißmayer / Staudengärtnerei Gaißmayer