Persicaria orientalis –
der schöne Orient-Knöterich

Text: Angelika Traub / Dieter Gaißmayer
Fotos: Dieter Gaißmayer / Staudengärtnerei Gaißmayer

Wir beginnen unsere illustre Reihe »...auf eine Staude mit Dieter Gaißmayer« mit der Vorstellung einer wahrlich imposanten Pflanzen-Persönlichkeit, die Gartenmagazin-Redakteurin Angelika Traub trotz ihres durchaus vorzeigbaren Staudenwissens völlig unbekannt war und sie bei einem spätsommerlichen Besuch auf der Illertisser Jungviehweide so faszinierte, dass sie unbedingt alles über diesen hochaufragenden Riesen erfahren wollte.

Angelika Traub (AT): Lieber Dieter, was ist das denn für ein wunderschön blühender, fast drei Meter hoher Riese, den Ihr in den Mutterpflanzenquartieren der Gärtnerei und, besonders spektakulär, rund um das herrliche Dahlienbeet auf dem Museumsgelände gepflanzt habt? Von der Blüte her würde ich fast auf einen Knöterich tippen, aber kann das sein?

Dieter Gaißmayer (DG): Bravo, da liegst Du gar nicht falsch, es ist nämlich tatsächlich einer, aber nicht, wie Du vielleicht denkst ein staudiger, der Bursche ist einjährig und bringt es tatsächlich in einer Saison zu dieser stattlichen Höhe. Dass Du ihn nicht kennst, muss Dich nicht grämen, er ist hierzulande tatsächlich selten zu sehen. In England ist er aber recht verbreitet und hört dort auf den poetischen Namen »Kiss me over the Gardengate«.

AT: (lacht), Ja, poetische Namen für Pflanzen jeder Art zu erfinden, da sind uns die Engländer weit voraus. Wer fühlt sich schon von einem »Stängelumfassenden Knöterich« angelockt, wie jetzt offiziell der deutsche Name der schönen Kerzenknöteriche (Polygonum amplexicaule) lautet. Da ist mir der Kuss über der Gartenpforte eindeutig lieber. Und dass dieser traumhaft schöne Riese auch noch so einen charmanten Namen hat, da gefällt er mir gleich noch mehr. Wie er in seiner Üppigkeit die Dahlien umgarnt und umschmeichelt! Dabei wirkt er trotz seiner Höhe standfest und macht einen so vitalen, gesunden Eindruck, dass er nicht einmal kapriziös in der Kultur zu sein scheint. Sowas muss doch in die Welt! Jetzt erzähl mal, wie hast Du ihn entdeckt?

DG: (schmunzelt)
Das war so: Es mag etwa 10 Jahre her sein – ich glaube, es war 2010. Ich war mal wieder mit meiner Frau Heike auf spätsommerlicher gärtnerischer Entdeckertour. Das ist in der Saison eigentlich die einzige Zeit, in der wir uns unauffällig ein paar Tage davonmachen können, bevor die Herbstaktivitäten uns hier wieder in Beschlag nehmen. Diesmal ging es in die Niederlande. Das ist immer ein Genuss auf hohem gärtnerischem Niveau, man könnte Wochen dort verbringen. Der Besuch bei unserem geschätzten Staudengärtner-Kollegen Henk Jakobs in Vriescheloo nahe der deutschen Grenze, nicht weit von Leer und Papenburg entfernt, war eines der Highlights. Sein grandioses Schau- und Mutterpflanzenquartier mit weitläufigen Fluten vieler hochinteressanter Sorten von Miscanthus, Helenium und weiteren spannenden Pflanzen habe ich noch heute vor Augen. Samen von zwei uns bis dato unbekannten Einjährigen bekamen wir von Henk freundschaftlich mit auf den Weg: Zum einen war es die weißblühende Form des Indischen Springkrauts (Impatiens glandulifera), dem wir trotz Ausbreitungsgefahr wegen seines überirdischen Dufts und der schönen weißen Blüten nicht widerstehen konnten. Wir verwenden es aber nur daheim im Garten, kontrollieren es sorgfältig und wissen, es mit wachsamem Auge in Schach zu halten.

AT: Na ja, wenn das gelingt – schließlich seid Ihr beide ökologisch engagierte Profis – ist es doch wirklich eine traumhafte Pflanze – und ich kenne so manchen Imker, der es wegen der Bienen ähnlich wie Ihr hält, denn die Bienen sind mindestens genauso begeistert von den Blüten wie wir.

DG: Stimmt, aber jetzt endlich zu Deiner Frage. Die zweite Gabe waren Samen von Persicaria orientalis, dem einjährigen Orient-Knöterich. Ein wahrer Schatz, der da zu uns auf die Jungviehweide kam! Nicht nur Du, jährlich ab dem Hochsommer bestaunen unsere Besucherinnen und Besucher die famosen Riesenschirme, die ums Dahlienbeet herum und auch an etlichen Stellen unserer Mutterpflanzenquartiere über niedrigeren Stauden aufragen. Durch Selbstaussaat hatten wir über Jahre hinweg immer eine stattliche Zahl dieser Pflanzen, ohne dass wir uns weiter darum kümmerten. Das Zuviel des Guten wurde gejätet, was leicht gelingt, nie ist uns der prachtvolle Bursche lästig geworden.

AT: Dann geht es doch sicher nicht nur mir, sondern vielen Kunden und Besuchern so, dass die ihn unbedingt auch in ihrem Garten haben wollen?

DG: Genau, das bleibt bei so einer spektakulären Schönheit nicht aus. Die tollen, engagierten Mitglieder des gemeinnützigen Vereins Förderer der Gartenkultur e.V. hier bei uns auf der Jungviehweide, die auch die Pflanzenkabinette rund um das Museum gestalten und pflegen, sind zur Tat geschritten. Sie nehmen jährlich reichlich Samen ab und haben sich nicht weniger zum Ziel gesetzt, als den sanften Riesen hierzulande in möglichst viele Gärten einziehen zu lassen. Das Saatgut kann man bei uns in der Gärtnerei und im Museum der Gartenkultur erwerben, der Erlös kommt dem Verein zugute.

AT: Das sind erfreuliche Botschaften! Wenn man sich in den Mutterpflanzenquartieren der Gärtnerei und den Museumsgärten der Jungviehweide umschaut, sieht alles so prächtig und vital aus. Klar, Ihr seid ausgezeichnete Fachleute und wisst alles über die optimale Nährstoffversorgung der Pflanzen, aber es sieht so aus, als hättet Ihr schon von Haus aus einen sehr guten, fruchtbaren Boden. Erreicht der stolze Riese deshalb eine solche Höhe? Wie sieht es mit seinen Ansprüchen aus? Wer in so kurzer Zeit so enorm wächst, braucht sicher besonders viel »Futter«?

DG: Ja, das stimmt schon, wir haben einen guten Boden, aber die Kultur gelingt eigentlich in jedem normalen, durchlässigen und nicht zu trockenen Gartenboden. Wer nachhelfen will, kann Hornspäne streuen. Am besten sät man direkt ins Freie, entweder geschieht dies im Spätherbst oder aber im sehr zeitigen Frühjahr bis spätestens Mitte März. Denn Persicaria orientalis ist ein Kaltkeimer, das heißt, er braucht zur Keimung einige Wochen kühle Temperaturen. Aber die heranwachsenden Jungpflanzen lassen sich dann bis zu einer Größe von 30 cm problemlos an den Ort der Wahl verpflanzen. Vom Hochsommer bis zum ersten Frost bietet dieser erstaunlich pflegeleichte und verträgliche Knöterich mit seinen üppigen tiefrosa Blüten einen sensationellen Anblick. Die Wintersilhouette ist zwar nicht sonderlich attraktiv, aber man sollte ihn ruhig bis zum Frühjahr stehenlassen, denn eine bunte Vogelschar freut sich sehr über die übriggebliebenen Samen.

AT: Bei der stattlichen Größe werden vermutlich die Besitzer kleiner Gärten wieder mal seufzen »nichts für mich, viel zu groß«. Aber stimmt das überhaupt? Wenn man sich die Pflanzen genau anschaut, nehmen sie am Boden eigentlich gar nicht viel Raum in Anspruch, ihr Ziel scheint es eher zu sein, von hoch oben auf uns herabzuschauen. Auch als Sichtschutz an der Grundstücksgrenze kann ich mir diesen liebenswerten Lulatsch gut vorstellen – oder eben als Empfangskomitee an der Gartenpforte.

DG: Genau, der Platzbedarf ist wirklich erstaunlich gering. Als bei uns im Dahliengarten einmal einige Pflanzen ausfielen, haben wir die Lücken mit Persicaria orientalis gefüllt. Das Ergebnis war einfach umwerfend! Wir und unsere Besucher waren überwältigt von der Kombination. Den Anblick der freundlichen roten Schirme, die sich über die Dahlien ausbreiten, wollen wir seither nicht mehr missen, diese Liaison wird bei uns erhalten bleiben!

AT: Lieber Dieter, mal wieder viel gelernt, nix wie hin zu Euren Samentütchen, ich bin schwer gespannt, wie sie sich bei mir im Garten machen.



Dieter Gaißmayer
Dieter Gaißmayer hat 40 Jahre die Geschicke der Staudengärtnerei gelenkt und die Verantwortung zum 1.1. 2020 vertrauensvoll an die junge Generation übergeben. Aber wer ihn kennt, der weiß – Ruhestand ist keine Option! Er freut sich, nun endlich...
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Text: Angelika Traub / Dieter Gaißmayer
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