Eine Naturkatastrophe

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Erdbeben und Vulkanausbrüche zeigen, wie lebendig unser Planet noch ist. Es rumort im Inneren, die Kontinentalplatten schwimmen und verschieben sich. Obwohl die Menschen wissen, wo zu wohnen es gefährlich ist, siedeln sie doch zu Füßen von Vulkanen oder im Nahbereich der Flussläufe, weil der Boden dort besonders fruchtbar ist. Unwetterkatastrophen mit Stürmen, Wirbelwinden und Hagel hat es immer gegeben. Und Jahre mit Dauerregen wie Jahre mit permanenter Hitze und Dürre, die zu totalen Ernteausfällen und zu Hungersnöten, Tod und Elend führten.

Nun aber erweitert sich das Spektrum: Menschengemachte Katastrophen leisten den seismischen und den meteorologischen Gemeinheiten eine dauerhafte Gesellschaft. Die Erwärmung des Globus um lächerliche 1 – 2 Grad führt schon jetzt zu verheerenden Ereignissen. Polareis und Gletscher schmelzen ab und lassen die Meere ansteigen. In den Gebirgen und in den Tundren taut der bislang dauergefrorene Boden, setzt das klimaschädliche Methan frei und löst grauenhafte Erdrutsche aus. Aber von diesen Klima-Katastrophen hören wir ja Tag für Tag. Wir erleben sie als Überschwemmungen, als Starkregen.

Und nun die Insekten

Jetzt aber kommt eine Katastrophe hinzu, die schon seit geraumer Zeit ihr Unwesen treibt, ohne dass wir es sonderlich zur Kenntnis genommen haben. Ende August 2015 schrieb ich für diese Homepage einen Beitrag mit dem Titel „Wo sind die Insekten?“. Nach einigen Kurzportraits von Käfern, Hummeln und Schmetterlingen, denen weitere folgen sollten, ging mir im wahrsten Sinne des Wortes der Stoff aus. Ich betrachtete das als ein lokales Phänomen, vielleicht bedingt durch zunehmenden Mais- und Raps-anbau in der Niederlausitz. Dabei war mir schon lange aufgefallen, wie viele farbenprächtige Schmetterlinge meiner Kindheit nicht mehr zu sehen waren. Wo waren die „Bären“, die „Widderchen“ und die zahlreichen Bläulinge?

Wir wissen jetzt: Es handelt sich nicht um lokale Schmetterlingsverluste, sondern um Verluste an allen geflügelten Insekten. Seit 1989 wird in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in Brandenburg das Insektenvorkommen systematisch mit Fallen erfasst und gewogen. Was die Entomologen, die Insektenforscher jetzt veröffentlicht haben, das ist eine schleichende Katastrophe. Seit 1989 ist das Insektenaufkommen um 76 Prozent zurückgegangen. In der Hochsommerzeit mit gewöhnlich höchstem Insektenflug betrug der Rückgang sogar 82 Prozent! Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Messungen in Naturschutzgebieten gemacht wurden. Wie mag es da erst in den agrarisch genutzten Gebieten aussehen? Beginnt „Der Stumme Frühling“ jetzt auch bei uns? Immer wird der Verlust an Schmetterlingen und Bienen an erster Stelle gesehen. Die einen, weil die Falter zu sommerlichen Schönheit gehören, die anderen wegen ihrer Bestäubertätigkeit und wegen des Honigs. Das aber ist eng und egoistisch gesehen. Es ignoriert die Tatsache, dass Blütenpflanzen und die bestäubenden Insekten sich gemeinsam entwickelt und aufeinander angepasst haben. Die Wissenschaft nennt das Koevolution. Freilich gibt es Pflanzen und Insekten, die nicht wählerisch sind und ihre Partner wechseln können. Andere Blütenpflanzen sind jedoch auf ganz bestimmte Insektenarten angewiesen. Fehlen sie, können sie sich nicht mehr generativ vermehren. Das heißt, sie können sich veränderten Umweltbedingungen nicht mehr anpassen, sterben früher oder später aus.

Wer das Insektensterben mit Schulterzucken abtut, der vergisst, dass die Kerbtiere in der Nahrungskette von allergrößter Wichtigkeit sind. Über den Schwund der Vögel braucht man sich nun nicht mehr zu wundern. Selbst ausgesprochene Körner- und Beerenfresser sind auf Insekten, ihre Raupen und Eier angewiesen, um ihre Brut mit Eiweißnahrung zu versorgen. Frösche, Molche und all die anderen Amphibien leben von Insekten. Ebenso Eidechsen und Schlangen.

Ein ungleicher Kampf

Doch auch viele Insekten ernähren sich von Insekten. Das sind dann die Nützlinge. Und damit kommen wir zur Problematik, die sich für den ökologischen Pflanzenbau durch das Insektensterben ergibt. Wird das so wichtige Gleichgewicht zwischen Schädlingen und Nützlingen erhalten bleiben? Wahrscheinlich nicht.

Im Ökosystem eines Baumes sind etwa ein Viertel der Tiere Nützlinge, ein Viertel sind Schädlinge, und die Hälfte der Tiere ist indifferent, schadet nicht und nützt auch nicht. Wird solch ein Baum mit einem Insektizid behandelt, tritt nach ein paar Wochen eine Verschiebung auf, die eigentlich jeden Obstbauer stutzig machen sollte: Die Zahl der Nützlinge wird halbiert, die Zahl der Indifferenten ebenfalls, doch an Schädlingen sind nun fast dreimal mehr vorhanden als vor der Spritzung. Immer reagieren die Nützlinge viel empfindlicher auf Gifte als die Schädlinge. Und so ist zu befürchten, dass die Umweltgifte, die den Insekten so zusetzen, die Nützlinge stark reduzieren, während die Schädlinge sich reger Vermehrung erfreuen. Der Naturschutzbund NaBu berichtet, dass 22 Prozent der Schwebefliegen bei uns ausgestorben sind. Und hatten wir nicht immer überwinternde Florfliegen im Haus? Wo sind sie?

Aber lassen wir die Einteilung in Gut und Böse. Das Leben ist ein Geben und Nehmen, ein dichtes Netzwerk, in dem kein Faktor isoliert existierten kann, aber auch kein Faktor fehlen darf. Fallen die Fluginsekten aus, hat dies verheerende Folgen für die gesamte übrige Natur, auch für uns Menschen. Selbst wenn die Ursachen, vor allem der chemische Pflanzenschutz und Verkehrs- wie Industrieemissionen eines Tages wegfielen, es dauerte unendlich lange, bis sich durch Zuwanderung wieder ein Gleichgewicht herstellt. Zuwanderung? Wir wissen nicht, wie es den Insekten in anderen Regionen unserer Welt ergeht.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert