Ein wogendes Blütenmeer

Text: Ute Studer
Fotos: Ute Studer und Staudengärtnerei Gaißmayer


Ute Studer

 

Ute Studer schreibt seit vielen Jahren für die Schweizer Gartenzeitschriften Bioterra und Der Gartenfreund und ist Autorin mehrerer Gartenbücher. Die Bücher mit ihren Kolumnen wurden schon 2mal mit dem Deutschen Gartenbuchpreis ausgezeichnet. Die Ideen für ihre Geschichten erhält sie durch Beobachtungen in ihrem kleinen, wilden Garten mitten in Zürich.


Die meisten Menschen wissen gar nicht, wie schön die Welt ist
und wie viel Pracht in den kleinsten Dingen,
in irgendeiner Blume, einem Stein, einer Baumrinde
oder einem Birkenblatt sich offenbart...

Rainer Maria Rilke 1875 - 1926

Die Pracht der kleinen Dinge verzauberte mich vor einigen Jahren auf dem Parkplatz der Gärtnerei Gaissmayer in Illertissen. Normalerweise kann ich Stunden zwischen all den Stauden verbringen, vor allem, wenn Dieter Gaissmayer grad noch eine seiner legendären Führungen macht. Diesmal verbrachte ich mit meiner Kamera wohl fast soviel Zeit vor dem Eingang, wie nachher auf den Wegen und Stegen zwischen Rabatten und Auslagen. Schuld war ein Topf, ein grosser Topf oder besser gesagt, eigentlich ein bepflanzter Kasten. Das Gefäss war nicht üppig bestückt, es gab nur zwei verschiedene Gewächse, die Prachtkerze Gaura lindheimeri und das Patagonische Eisenkraut Verbena bonariensis. Doch diese Kombination war so faszinierend, dass ich sie von allen Seiten bestaunen und fotografisch festhalten musste. Wie ein wirbelnder, weisser Schmetterlingsschwarm tanzten die kleinen weißen Blüten der Gaura auf ihren filigran gebogenen Stielen im Sommerwind. Dazwischen ragten die starren Stängel der Verbenen unbeweglich aufrecht nach allen Seiten, eisern, wie es sich für eine Pflanze mit dem Namen Eisenkraut gehört. Die kleinen blau-violetten Blütenschirmchen der Verbenen schwebten auf den staksig verzweigten, fast blattlosen Halmen zwischen dem wogenden Weiß der Gaurablüten. Und jeder Windstoss malte wieder ein neues Bild, mal mehr weiss, mal mehr violett.

Nachdem ich den Topf mehrmals knipsend umrundet hatte, um nur ja jede Facette dieses Schauspiels einzufangen, bemerkte ich, dass ich nicht das einzige Lebewesen war, dass diese Pflanzenkombination bewunderte. Obwohl die weissen Blüten der Gaura ständig in Bewegung waren und hin und her schaukelten, schafften es einige Garten-Blattschneiderbienen, sich an den lang herabhängenden Staubfäden mit den Mittel- und Hinterbeinen festzuklammern und den Pollen der Blüten von den Staubgefässen abzustreifen und in ihre Bauchbürsten zu transportieren. Ich war erstaunt, diese Wildbienen hier anzutreffen, denn die Pflanze stammt aus Nordamerika. Das Nektar- und Pollenangebot lockte auch Honigbienen, die schaukelnden Blüten zu besuchen. Sicherer jedoch landeten sie nebenan auf den violetten, nektarreichen Verbenen. Diese Südamerikanerin war allerdings auch von anderen Insekten heiss umschwärmt. Ein Taubenschwänzchen tauchte seinen langen Rüssel im Schwirrflug ganz schnell nacheinander in einige der aufrecht dargebotenen Kelche. Eine metallisch glänzende Schwarze Keulhornbiene schien sich mehr für den Pollen zu interessieren. Mit lautem Brummen setzte sich eine Schwarze Holzbiene auf die blauvioletten Dolden und zog mit ihrem Gewicht bei der Landung den aufrechten Stiel in Schräglage. Und während die einen gesättigt davonflogen, warteten mehrere Schwebfliegen mit helikopterähnlichem Zickzackflug auf einen freien Blütenlandeplatz. Ein Admiral turnte auf einer Dolde, während auf einer anderen ein eben davongeflogenes Tagpfauenauge schon wieder Platz nahm. Auch verschiedene Hummeln waren zu Gast. 

Nachdem mein Mann langsam die Geduld verlor und mich endlich von diesem Spektakel wegzerrte, hatte ich beinahe vergessen, dass ich eigentlich in die Gärtnerei wollte, um insektenfreundliche, einheimische Stauden zu erwerben. Doch nun wanderten Gaura und Verbene als erste in den Einkaufskorb und seither geistern die beiden Insektenmagnete nach dem Black-Box-Gardening Prinzip, sich selbst aussäend, durch meinen Garten, denn beide überstehen nur laue Wintertage. Leider besaßen die beiden Pflanzen, obwohl anfänglich zusammengepflanzt, keinerlei Paarambitionen und gingen stur getrennte Wege. Die Gaura säte sich hartnäckig immer in den Ritzen der Wegplatten aus und musste mühsam herausgepult und verpflanzt werden. Das Eisenkraut entwickelte hingegen eine besondere Liebe zu den Tomaten. Ich muss gestehen, auf die Idee, eine Wolke von blauvioletten Blütendolden mit den kleinen roten Kugeln der Cherry-Tomaten zu kombinieren, wäre ich von allein nicht gekommen. Ich bin gespannt, wie sich eine Gelbe Datteltomate oder die Orange Russian 117 neben dem Blauviolett machen wird, jedenfalls werde ich meinen Tomatenplan dieses Jahr nicht nur nach Fruchtgrösse, sondern auch nach Harmonie mit dem Violett der Verbenen ausrichten.

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