Gräser-Betrachtung

Text: Christian Seiffert
Fotos:  Staudengärtnerei Gaißmayer, Christian Seiffert

Gerade habe ich Pennisetum „Hameln“ zurückgeschnitten. Dabei sah der Horst am 5. April noch sehr dekorativ aus. Dennoch musste ich zur Schere greifen, damit die neuen Triebe Platz und Licht erhalten. Ähnlich Problematisches erlebt man regelmäßig mit hohem Sedum. Im Winter und im zeitigen Frühjahr sind die alten Blütenstände eine Augenweide. Man möchte sie gern noch etwas stehen lassen. Doch schnell ist der Zeitpunkt erreicht, an dem die neuen Triebe zwischen den alten Blütenständen erscheinen. Eine Situation, die das Entfernen der Vorjahresreste sehr erschwert. Also: den richtigen Moment abpassen, was nicht ganz einfach ist, wenn man manchmal 3 Wochen nicht anwesend sein kann. Eigentlich wollte ich von „Hameln“ nur erzählen, um deutlich zu machen, wie unterschiedlich sich die Staudengräser im Garten verhalten. Die Gattungen Pennisetum und Panicum scheinen im April noch regelrecht Winterschlaf zu machen. Eine Beobachtung, die bei der Gartengestaltung berücksichtigt werden muss. Die Gattungen Miscanthus (Chinaschilf), Sporobulus (Tautropfengras) und Eragrostis trichodes (Liebesgras, „Bend“) beginnen gerade auszutreiben.

Ganz anders Calamagrostis x acutiflora. Die klassische Sorte „Karl Foerster“ ist schon 20 cm hoch. Wird aber weit übertroffen durch die Sorte „Waldenbuch“, die einen makellos schönen und kräftigen Austrieb macht. Auch Stipa calamagrostis „Allgäu“ hat den extrem warmen Vor- und Erstfrühling genutzt und kräftig getrieben. Liegt dieser Unterschied nun daran, dass die einen Gräser aus Amerika bzw. Asien kommen, die Frühaustreiber aber aus Mitteleuropa? Ein Gras, das sich am Waldrand von selbst eingefunden hat und sehr schöne grüne Horste bildet, mag diese Theorie bestätigen. Es handelt sich um Melica altissima, das Hohe Perlgras. Es blüht im Sommer dunkelbraunrot, durchaus ansehnlich. Sein Nachteil, es samt sich hemmungslos aus!

Nun aber eine Gattung, die diesen Rahmen sprengt. Die Rede soll sein von den immergrünen Vertretern der Gattung Sesleria. Vor Jahren pflanzte ich ein Exemplar vom Kalk-Kopfgras Sesleria albicans in den Halbschatten eines Flieders. Immer im April erfreuten uns seine frühen Blüten. Dieses Gras kommt stets grün durch den Winter und schiebt schon Ende März die Ähren. Das kleine Pflänzchen hat inzwischen eine Fläche von einem Quadratmeter eingenommen. Es versamt sich nicht, wächst aber horstig in die Breite. Naturstandorte dieser Art sind Kalk-Niedermoore wie aber auch Buchenwaldhänge über Kalk und Trockenrasen. Eine sehr anpassungsfähige Pflanze also, wenn sie nur genug Kalk zur Verfügung hat. In Jamlitz scheint es trotz des Sandbodens daran nicht zu fehlen. Nun noch eine Sesleria-Art, die sich im Frühjahr besonders festlich kleidet. Es handelt sich um das Moor-Blaugras Sesleria caerulea. Auch diese Art ist immergrün. Ihre Blätter zeigen jedoch zweierlei Farbe. Eine bläulich bereifte und eine dunkelgrüne Seite. Dazu kommen alte vergilbte Blätter, die sich als Kranz auf den Boden legen. Diese besonders schöne Sesleria-Art kommt in ganz Europa vor, von Schweden bis Montenegro und Russland, nur nicht in Deutschland. Hier in Jamlitz, im Halbschatten von Gehölzen gedeiht sie so gut, dass es einen wundert, warum sie von Natur aus nicht hierher gefunden hat.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text: Christian Seiffert
Fotos:  Staudengärtnerei Gaißmayer, Christian Seiffert