Draußen primelt es

Text: Christian Seiffert

Fotos: Christian Seiffert und Staudengärtnerei Gaißmayer

5 verwachsene Kelchblätter, 5 verwachsene Kronblätter, eine zwittrige und radiale Blüte. 5 Staubfäden, die mit den Kronblättern verwachsen sind, die Frucht eine Kapsel, etc. etc. Das sind einige gemeinsame Merkmale von Gilbweiderich, Alpenveilchen, Götterblume und Himmelschlüssel. Dank dieser und weiterer Eigenschaften wurden sie von Carl von Linné im 18. Jahrhundert zu »Primelgewächsen«, Primulaceae, vereint. Mich verfolgt dann immer der Gedanke, wie wohl der gemeinsame Ahne ausgesehen haben mag, wenn es denn einen gab. DNA-Analysen in jüngster Zeit haben ja einige Unruhe gestiftet, Pflanzenfamilien wurden gesplittet, Gattungen umgetauft und das keineswegs zur Freude der Gärtner und Pflanzenverwender. Wird bei den Primelgewächsen alles beim Alten bleiben?

Spaziergang auf dem Mte. Baldo. Unten am Gardasee herrscht hochsommerliche Hitze, oben taut der letzte Schnee. Zwischen dem Schnee blühende Krokusse und die gefransten lila Glöckchen der Soldanellen. Ein wenig erinnern sie an Alpenveilchen, auch mit ihren runden festen Blättern. Neben Cyclamen coum sind die am frühesten blühenden Vertreter der Primelgewächse.

Apropos früh: Für die Römer waren die Primeln »die ersten des Frühlings«, daher ihr Name, der sich von primus, der Erste, ableitet. Primula ist die weibliche Verkleinerungsform. Im Eresinger Garten beginnt die Primelzeit mit der Karnevalsprimel, Primula vulgaris ssp. sibthorpii. Von der Gestalt her gleicht sie Primula vulgaris. Nur blüht sie noch früher als diese und hat Blüten, die lila, bläulich oder auch rötlich gefärbt sind. Die Karnevalsprimel kommt vom Balkan, von der Krim und dem Kaukasus. Sie liebt den Halbschatten unter Bäumen, meidet die offene Sonne. Die vielen knallbunten Topfprimeln, die z.Zt. angeboten werden, haben vermutlich die zartfarbenen Karnevalsprimeln als Ahnen.

Südbayern ist Himmelschlüssel-Land. Wo Wiesen leidlich feucht und nicht überdüngt sind, da wachsen und blühen sie, natürlich auch im Garten, wo sie nicht immer reinerbig fortbestehen, sondern sich offenbar gern mit anderen Arten kreuzen. Himmelschlüssel, Primula elatior, ist also unsere heimische Primel für feuchte Böden, während Primula veris sich auf trockenen Standorten wohlfühlen. So wächst und vermehrt sie sich auf dem Jamlitzer Sand erstaunlich gut. »Veris« ist der Genetiv von ver = Frühling. Es handelt sich also nicht um die wahre Primel, wie ich immer annahm, sondern um die Primel des Frühlings! Dabei blüht sie etwas später als der Himmelschlüssel.

Cyclamen coum, das Vorfrühlingsalpenveilchen hat bei uns schwer zu kämpfen. Die ständigen Kälte- und Schneerückfälle behagen ihm nicht. An der Schwarzmeerküste unter den türkischen Haselnussplantagen sollen sie flächendeckend wachsen und üppig blühen. Besser geht es bei uns dem Cyclamen purpurascens, dem »heimischen« Alpenveilchen. Einen Monat später, im September, setzt die üppige Blüte des neapolitanischen Alpenveilchens ein. Cyclamen hederifolium scheint eine unbegrenzt wachsende Pflanze zu sein. Die Blatthorste werden immer größer. Im Sommer verschwindet das sehr dekorative Laub und die Blüten kommen gewissermaßen aus dem nackten Boden.

Eine große Gattung aus der Primelfamilie heißt Lysimachia. Fast in jedem Garten kommt der »punktierte Gilbweiderich« vor. Eine Anfängerstaude, die immer gedeiht und kräftig wuchert. Interessanter für mich ist Lysimachia nummularia, der Pfennig-Gilbweiderich. Ich kannte diese kriechende Staude von bayerischen Bachläufen, musste aber feststellen, dass sie in Jamlitz schon vor mir anwesend war, und das auf trockenem Sand. Jetzt stellt sie zwischen Gehölzen und Epimedien einen flächendeckenden Ordnungsfaktor dar, den ich nicht missen möchte. Nicht vergessen sei Lysimachia thyrsiflora, auch eine Wucherpflanze, aber für den Teich oder ein Sumpfbeet. Sie kommt an Brandenburger Seen vor. Im Eresinger Gartenteich hat sie erstaunlicherweise nicht lange durchgehalten. War der Fieberklee konkurrenzstärker?

Dies ein kleiner Ausschnitt aus der Welt der Primelgewächse, soweit er selbst erlebt und beobachtet wurde. Aber noch immer muss ich den Kopf schütteln, wenn ich ein Topfalpenveilchen neben einer Primula obconica stehen sehe. Die sollen miteinander verwandt sein?

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text: Christian Seiffert

Fotos: Christian Seiffert und Staudengärtnerei Gaißmayer