Der reinste Blätterdschungel

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Ich frage mich schon eine ganze Weile, seit wann eigentlich die Funkien (Hosta) so populär sind. Es muss irgendwann in den 70er oder 80er Jahren angefangen haben, dass diese Pflanzengattung so einen enormen rasanten Aufstieg in der Publikumsgunst nahm. In den Anfängen meiner gärtnerischen Gehversuche Anfang der 70er Jahren fielen sie nämlich nur wenig auf und waren in erster Linie hübsche Notlösungen in schattigen Beeten zwischen Maiglöckchen und Farnen. Und so habe ich den Anfang der Hosta-Mania wohl verschlafen. Und da ich ein Langschläfer bin, entdecke ich erst seit ein paar Jahren, was es alles so an Herzlilien (... ein hübscher älterer deutscher Name für Hosta, nicht wahr?) gibt - und das ist wahrlich eine Menge! Mögen mir Hosta-Liebhaber meine langjährige Ignoranz verzeihen ...

Meine eigenen frühen Klassiker - die ich übrigens heute noch sehr liebe und gern verwende - sind die eher niedrige Blaublattfunkie ‘Halcyon‘ mit ihren lavendelfarbenen Blüten, dann die satt grüne ‘Francee‘ mit dem feinen weißen Rand ... sehr edel ... und natürlich die gut 70 cm hohe Blattschönheit Hosta nigrescens ‘Krossa Regal‘. Ihr Wuchs wird als „vasenförmig“ bezeichnet, weil die Blätter ein wenig nach oben gerichtet sind und sie zusammengenommen eine konische Wuchsform einnehmen. Totschick! Ich erinnere mich an einen Besuch bei Marianne Foerster, der einzigen Tochter des Altmeister-Staudenzüchters Karl Foerster, die 2010 im Alter von 79 Jahren leider verstorben ist. Sie bot mir in dem berühmten Senkgarten mal die Tagliliensorte ‘So Lovely‘ an, die ich aber bereits besaß. „... dann kriegen Sie sie auch nicht ...“ beschloss sie pragmatisch und drückte mir die Hosta ‘Krossa Regal‘ in die Hand, die mir bis dato noch unbekannt war. Die Pflanze entwickelte sich wirklich beeindruckend und gehört seither zum eisernen Bestand meiner Lieblinge für Schattengärten.

Es war ‘June‘, die bei mir den Schalter für die unglaubliche Vielfalt moderner Sorten umlegte. Wir lernten uns vor etwa sieben Jahren kennen und sie fiel mir gleich mit ihren sanft gelbgrünen Blättern, die lebhaft geflammt waren. Da sie eher kompakt wächst und auch aus der Nähe betrachtet werden wollte, nahm sie Platz in einem Pflanzkübel auf meinem Balkon, wo sie stetig heran wuchs bis ich sie vor drei Jahren verschenkte. Dann nämlich bekam ich meinen Schrebergarten und setzte mir in den Kopf alle Kübel mit nicht winterharten Pflanzen zu bestücken und das einzige Schattenbeet das ich hatte in den Farben Rosa, Weiß, Purpurn und Lila zu bepflanzen - ‘June‘ fand also ein neues Zuhause, denn ich war hingerissen von der ebenfalls ziemlich handlichen ‘Fire and Ice‘. Noch nie hatte ich eine Funkie gesehen, deren Weißanteil so groß und rein war und deren schmale dunkelgrüne Randflammung so kontrastreich abstach ... und obendrein wächst sie noch gut heran. Dann konnte ich doch nicht bei den gelblaubigen Sorten widerstehen und schnappte mir aus dieser Liga die rot gestielte ‘Fire Island‘, die zu einer echten Kostbarkeit wurde - kaum eine Funkie wird in meinem Garten so bewundert wie sie. Für weitere Sorten die mich reizten, wie etwa ‘Orange Marmelade‘, ‘Dream Weaver‘ oder ‘Patriot‘ fehlt mir derzeit der Platz ... und noch bleibe ich bei der Kübelidee eisern.
Nun sah ich mich mit meinem „neuen“ Hosta-Wissen (auch nach der Lektüre einiger Staudenbücher und Kataloge) gut genug gerüstet um mal mit Dieter und Heike Gaissmayer bei einem Pflanzenevent auch diese Stauden mit feil zu bieten. Da hatte ich aber die Rechnung weder mit der Vielfalt des Sortimentes noch mit dem Detailwissen und -bedarf der Pflanzenfreunde gemacht, denn es geriet beinahe zu einem persönlichen Fiasko.

Die erste Hosta-Frage mit der ich kurz nach der Öffnung des Geländes für das Publikum konfrontiert wurde lautete „Haben Sie Striptease?“ Leicht errötend aus dem Konzept ob des Ansinnens geraten, fasste ich mich aber angesichts des seriösen Gesichtes des fragenden Mannes. Dieter stand mir bei und wir empfahlen die Sorte ‘Gypsy Rose‘, die von ‘Striptease‘ abstammt und ihr durchaus etwas ähnelt. Dankbar zog der Kunde mit dieser Pflanze seiner Wege. Ich grübelte noch darüber nach, wie ein Züchter auf einen solchen Namen kommen kann, als ich nach ‘Praying Hands‘ gefragt wurde. Na, das ist ja ein Kontrastprogramm ... nach einem textilreduzierenden Tanz kamen die betenden Hände von Dürer. Hier ist der Sortenname aber leicht verständlich, denn die Blätter bleiben lange nach dem Austrieb zusammengeklappt und erinnern tatsächlich etwas an die fromme Handhaltung. Dann fühlte ich mich sicher, als sich jemand nach  ‘Blue Mouse Ears‘ erkundigte, denn diese kleine Kostbarkeit kannte ich schon aus eigener Anschauung. Auch hier ist der Name sehr gut gewählt, denn die jungen Austriebe zeigen sich tatsächlich im Frühling wie Mäuseohren die aus der Erde lugen. Eine kleine Weile später  fühlte ich mich wieder als Kenner während ich ‘Krossa Regal‘, ‘June‘, ‘Francee‘, ‘Golden Tiara‘, ‘Halcyon‘ und einiges anderes empfahl.

Im Laufe des Tages tauchten dann auch noch kritische Käufer auf, die anmerkten, dass an einem anderen Stand auf dem Gelände die Pflanzen etwas weniger kosten würden, dafür aber viel größeres Laub hatten. Diese Pflanzen hatte ich schon beim Aufbauen auf dem Marktgelände gesehen. Sie besaßen jeweils einen oder zwei Austriebe (unsere vier bis sechs, jawohl!) und wiesen im April schon so große Blätter auf wie normalerweise erst im Juni. Mit Sicherheit waren sie in einem geschützten Gewächshaus groß gezogen worden. Im Sommer mag das wenig ins Gewicht fallen, doch besonders während des frühlingslaunenhaften Wetters bis etwa zum Zeitpunkt der Rosenblüte sind solche Pflanzen weniger gegen kühle Temperaturen oder gar Spätfröste gewappnet als Qualitäten, die aus dem Freiland stammen und in dem ihnen eigenen Tempo wachsen dürfen. Außerdem sind die weicheren Blätter der Gewächshaus-Showstars bestimmt sehr reizvoll für Schnecken. Ich hatte das selbst aus leidvollen Pflanzenanpflanzungsversuchen erlebt und argumentierte also leidenschaftlich und aus Überzeugung.

Geblendet von meinem trügerisch wiedergewonnenem Expertentum verstieg ich mich am Nachmittag in die Vermutung, dass Hosta plantaginea ‘Royal Standard‘ wegen ihres weichen Laubes möglichst schattig stehen sollte als ich dabei Heikes gerunzelte Stirn erblickte. Ich fragte also lieber noch bei ihr nach und sie intervenierte sanft mit einem „Neinnein - die Hosta plantaginea stehen doch in Italien in Kübeln in der Sonne und blühen und duften über und über ... Hauptsache sie trocknen nicht aus.“ Ein bisschen kleinlaut korrigierte ich also meine kühne These und behaupte von nun an das Gegenteil. Man lernt ja nie aus...

Als die Schatten lang wurden kam von einer jungen Dame mit zwei Kindern im Schlepptau die Aufgabe „Ich möchte im Schatten eine langlebige Pflanze haben, die den Boden richtig durchwurzelt und festigt, denn ich habe einen abschüssiges Beet.“ Vorsichtig geworden widerstand ich dem ersten Impuls, von Hosta abzuraten und fragte Heike: „Du - Hosta machen doch keine Wurzelmatten, oder?“ Die überraschende Antwort: „Naja ... die meisten wachsen horstig, aber die Hosta clausa var. normalis, also die Koreafunkie, macht kurze Ausläufer. Sie  kann sogar als Bodendecker eingesetzt werden.“ ... es tut so gut, mit wirklichen Fachleuten zusammenzuarbeiten; sie sind wie ein Netz bei artistischen Beratungsluftnummern ... „Achja, und die Koreafunkie wächst auch ganz gut in der Sonne.“ flötete Heike noch nach. Begeistert nahm die Mutter aus dem Hanggarten gleich drei Pflanzen mit.

Als ich direkt danach leicht verstört und ziemlich nachdenklich die ausgestellten Hosta-Pflanzen betrachtete, tröstete Heike mich indem sie versicherte, dass ich mich ausgerechnet bei den wirklichen Ausnahmen im Hosta-Sortiment vertan hatte. Wir tauschten also noch weitere Informationen aus und sie bestätigte auch meine Beobachtungen, dass viele Sorten auch in der Sonne gedeihen, wenn sie nur ausreichend Bodenfeuchte haben und dass grundsätzlich Hosta mit weichem Laub schneller von Schnecken befallen werden als solche mit hartem, festen Blattwerk.

Ich fand am Tag darauf noch mehr Gefallen an den sehr unterschiedlichen und charaktervollen Sorten (was man kennt, liebt man umso mehr) und spielte schon mit dem Gedanken einige Pflanzen am Feierabend der zweitägigen Veranstaltung mitzunehmen um zusätzliche eigene Erfahrungen mit ihnen zu sammeln. Aber dazu kam es nicht. Von meinem eignen Enthusiasmus angesteckt leerten die Pflanzenfreunde unaufhörlich unsere Hosta-Abteilung bis kein Blättchen mehr von ihnen übrig war. Aber ich werde diese Funkien im Auge behalten ... keine Sorge ...  und voraussichtlich gebe ich auch noch den einen oder anderen Topf dafür her wenn die Beetplätze alle besetzt sind ...

Andreas Barlage
Lieblingspflanzen Andreas Barlage ist der Wandervogel unter den Gartenbesitzern. Weil er in seinem Leben viel umgezogen ist, hat er reichlich Erfahrungen an sehr unterschiedlichen Standorten sammeln können.
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Text und Fotos: Andreas Barlage