Allerletzte Blüten

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Seit Mitte September ist der Kräuter-Schaugarten geschlossen – der viel zu frühe Herbstbeginn ließ fast alle spät blühenden Kräuterstauden so bald aufgeben, wie ich es noch nie erlebt habe. Und auch im Kräutergarten möchten eben nahezu alle Gäste Blüten bestaunen können. Dahlien, Astern, späten Phlox, lange blühende Rosen können wir nun einmal nicht bieten...

So bleibe ich mit der schönen Herbstfärbung mancher Kräuter – etwa den knallgelben Blättern des Schwalbenwurzes (Vincetoxicum hirundinaria), einer alten, leicht giftigen Heilpflanze mit hübschen, weißen, duftenden Blüten – und mit den allerletzten Blütenständen im Garten allein. September und Oktober waren hier über lange Wochen ungewöhnlich mild und trocken, noch vor einer Woche hatten wir sommerliche Temperaturen.

So blüht es eben immer noch hie und da, während ich ernte und zurückschneide, was sich sehr leicht aussamt, etwa die Fruchtdolden von den riesigen, über zwei Meter hohen Stängeln des Gewürzfenchels (Foeniculum vulgare) – beinahe pfundweise werde ich die »Körner«, die Kräutertees ein schönes Anis-Aroma verleihen, abgeben können.

Leuchtend weiß zeigen sich so spät noch einige große Dolden einer weißen Schafgarben-Hybride (Achillea millefolium-Hybride), von der ich nicht sagen kann, wie sie an ihren Standort gekommen ist. Gepflanzt habe ich dort keine Schafgarbe. Dass es eine Hybride sein muss, erkennt man an den Blättern, die wesentlich größer sind als diejenigen der einheimischen Wiesen-Schafgarbe, und natürlich an den deutlich größeren Einzelblüten, die sich zu einer mehr als Handteller großen Dolde zusammendrängen. Ein paar Meter weiter stand bis vor einigen Jahren die schöne, schneeweiße Hybride 'Heinrich Vogeler' – ob diese sich versamt hat? Aber Hybriden sind in der Regel steril. Also muss ich vermuten, dass ich in der jetzt noch blühenden Pflanze eine spontane Kreuzung vor mir habe. Aber wer könnten die Eltern sein? Die viel zierlichere, heimische Wildart ist in jedem Fall ein Elternteil – aber wer ist der Partner?

Doch wohl nicht die hübsche Edel-Schafgarbe (Achillea nobilis), eine einheimische Wildpflanze, die für den Kräuter- und Duftgarten noch entdeckt werden will. Das fein gefiederte Laub ist zierlicher als bei der gewöhnlichen Wiesen-Schafgarbe (Achillea millefolium), es kann sogar für Duftrasen verwendet werden. Die Blätter lassen sich, in Maßen, für Salate, Suppen, Eintöpfe verwenden, sie wirken verdauungsfördernd und auch beruhigend, außerdem äußerlich leicht antiseptisch, ähnlich wie bei der Wiesen-Schafgarbe.

Auch die Edel-Schafgarbe sät sich aus, man kann sie aber gut beherrschen, weil sie horstig wächst und sich nicht überall durch Rhizome ausbreitet wie ihre Verwandte. Sie ist eine wunderbare Staude für Wildpflanzungen an trockeneren Standorten, zusammen mit Johanniskraut-Arten (etwa Hypericum perforatum oder H. calycinum), Rainfarn (Tanacetum vulgare), Steppensalbei (Salvia nemorosa-Sorten) oder dem einheimischen Sonnenröschen (Helianthemum nummularium) bildet sie bezaubernde, lange blühende Arrangements.

Ihr Standort, wo sie sich inzwischen ein wenig ausgebreitet hat, liegt gut zwanzig Meter entfernt von meiner unbekannten Hybride. Ziemlich unwahrscheinlich, dass es über diese Entfernung zu einer Spontankreuzung gekommen sein sollte, einmal ganz abgesehen von der Frage, ob Millefolium und Nobilis »zueinander passen«. Ich werde wohl abwarten und Experten zu Rate ziehen müssen – Vorerst freue ich mich einfach an den späten Blüten.

Selbstverständlich hält auch das Patagonische Eisenkraut (Verbena bonariensis) mit einigen blauvioletten Blütendolden auf den hohen Stängeln durch. Für einige noch an sonnigen Oktobertagen durch den Garten streifende Schmetterlinge war diese aparte Kurzlebige (doch überreich versamende) ein begehrter Nektarspender.

Mit am spätesten von den stark duftenden Artemisien blüht die Eberraute (Artemisia abrotanum), die mit dem fast nadelfein zerteilten Laub dichte, niedrige Kräuterhecken bildet – sie verträgt im Frühjahr fast jeden Schnitt. Am attraktivsten ist die Sorte 'Courson', die Französische Eberraute, mit ganz zierlichem, bläulich-grauen Laub, das bei Berührung einen unerhörten Duft verströmt. Wer das starke, herb-frische, mit einem leicht süß-säuerlichen Unterton versehene Aroma der Eberrauten mag, hat in 'Courson' nicht nur eine der hübschesten Züchtungen, sondern auch eine wahre Duft-Offenbarung, die regelmäßig »Ah!« und »Oh!« bei den Gästen auslöst. Jetzt blüht der Zwergstrauch mit unzähligen, kleinen, gelben Blüten, die weit stärker auffallen als die unscheinbaren, grünlichen Blütenköpfchen der übrigen A. abrotanum-Sorten.

Dass in diesem Jahr sogar einige Lavendel-Sorten bis in den Oktober blühen, hat selbst mich erstaunt. Bei der mit einem zweiten, herbstlichen Blütenschub aufwartenden Sorte 'Two Seasons' (eine Lavandula angustifolia-Züchtung) mag das nicht so ganz verwunderlich erscheinen. Aber dass die imposante L. intermedia-Kreuzung 'Hidcote Giant', sozusagen die Riesen-Ausgabe der alten, bewährten Sorte 'Hidcote Blue', seit dem Juli ununterbrochen immer neue, lange, blauviolette Blütenähren auf bis zu 80 Zentimeter hohen Stängeln austreibt, kann ich nur dem ungewöhnlichen Witterungsverlauf zuschreiben. Ich habe bei den großen, silbrigen Büschen auf den üblichen Rückschnitt im August verzichtet, ich will einfach abwarten, wie lange sich noch der auffällige Schmuck auf dem Lavendelhügel hält.

Schon gewöhnt habe ich mich daran, dass die über mannshohen Stängel des Chinesischen Buchweizens (auch Baum-Spinat, Ausdauernder Buchweizen – Fagopyrum cymosum) bis zu den ersten Frösten doldenähnliche Blütenstände mit kleinen, weißen Einzelblüten tragen. Der Verwandte unseres einheimischen Buchweizens gilt in China als wichtiges Heilkraut. Die jungen Blätter lassen sich tatsächlich als Spinat zubereiten. Die Pflanze ist zäh, ausdauernd und breitet sich durch unterirdische Triebe langsam aus. Fast jeder, der in den Kräutergarten kommt, fragt mich »Was ist denn das?« ...

Ludwig Fischer
Garten und Literatur Bis Ende 2017 berichtete Ludwig Fischer aus seinem großen Kräuter-Schaugarten in Benkel nahe Bremen, von dem er Abschied nahm, um sich von nun an stärker aufs Schreiben zu konzentrieren.
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Text und Fotos: Ludwig Fischer