Räuchern – ein altes Ritual für moderne Zeiten

Susanne Fischer-Rizzi hat mit "Botschaft an den Himmel" das wohl umfassendste Buch über das Räuchern verfasst. Der nachfolgende Text enthält Auszüge aus diesem sehr empfehlenswerten Buch. Dafür bedanken wir uns bei Susanne Fischer-Rizzi.

Wichtige Dinge verschwinden nicht. Sie schlummern in der Tiefe. Doch wenn ihre Zeit wieder gekommen ist, erwachen sie und erscheinen wie neu. So ist es mit dem Räuchern. Jahrtausendelang war das Räuchern ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Lebens. Unglaubliche Reichtümer wurden für Räucherwaren ausgegeben, Welthandelsstraßen errichtet, um sie zu befördern, und zu fast allen Zeiten war das Räuchern eine Zeremonie, so alltäglich und wichtig wie Zähneputzen. Erst im 20. Jahrhundert ist das Wissen um das Räuchern in unserem Kulturkreis wie eine Quelle versiegt. Lebendig blieb es in anderen Kulturen, vor allem in denen des Ostens. Dort ist das Räuchern für Millionen von Menschen eine essentielle Zeremonie des Alltags.

Durch den Rauch – per fumum – Parfüm

Räuchern gehört zu den ältesten kultischen Handlungen und Heilanwendungen der Menschen und war immer mit Ritualen verbunden. In den alten Hochkulturen war ein reichhaltiges Wissen über die verschiedenen Wirkungsweisen von Pflanzen vorhanden. Das in unserem Kulturkreis fast verlorene Räucher-Wissen wird zur Zeit wieder neu entdeckt.

Räuchern, das heißt das Verglimmen von aromatischen Pflanzenstoffen, ist die Wurzel der heutigen Aromatherapie und der Parfümerie. Das Wort Parfüm leitet sich ab vom lateinischen per fumum, durch den Rauch. Der aufsteigende Rauch trägt die Duftstoffe nach oben und verteilt sie im Raum. Er enthält die psychoaktiven, körperlich und seelisch wirksamen Inhaltsstoffe des Räucherwerks, die über die Nase und den Mund aufgenommen werden.

Beim Räuchern werden unsere Sinne auf verschiedene Weise angesprochen: Die Nase riecht, nimmt auf, und mit den Augen können wir den feinen Rauch verfolgen und beobachten, wie er in unendlichen Formen Figuren, Spiralen oder Bänder bildet. Wir erleben die Wärme des Feuers beim Anzünden der Kerze und sehen, wie die rote Glut langsam das Schwarz der Kohle verschwinden lässt.

Zeitinseln schaffen

Auch für uns moderne Menschen kann das Ritual des Räucherns hilfreich sein. Zeit für sich selbst haben, und der Hektik des Alltäglichen entfliehen, die Seele baumeln zu lassen in der köstlichen Zeitspanne von Versenkung und Genuss! Verweilen, unser Leben leben. Räuchern kann beruhigen und tief entspannen und uns so helfen, in unserem hektischen Alltag kleine „Zeitinseln“ zu schaffen.

Manche Räucherpflanzen wirken anregend, vitalisierend und können die Inspiration und die Kreativität befördern. Räuchern unterstützt bei Meditation, Yoga oder Heilanwendungen. Räuchern eignet sich zum atmosphärischen Reinigen von Räumen oder Krankenzimmern. Jahreszeitlichen Festen verleiht das Räuchern den passenden Duft und schafft so eine festliche Atmosphäre.

In unseren Gärten können wir eine große Vielfalt von Räucherpflanzen kultivieren und für die spätere Verwendung als Räucherwerk trocknen. Getrocknete Pflanzen bewahren die Energie des Sommers. Es heißt, das Räuchern verbinde uns mit der Seele der Pflanzen. Es schenkt uns so eine wunderbare zusätzliche Möglichkeit, unsere Gartenpflanzen zu genießen. In unserem Wohlfühlkräuter-Katalog stellen wir Ihnen viele Räucherpflanzen vor und beschreiben deren Wirkungen. Als Beispiel wollen wir Ihnen hier das Räuchern mit Süßgras empfehlen.

Hiërochloë odorata – Mariengras, Süßgras

Mariengras oder Süßgras ist eine Heil- und Räucherpflanze, die eine lange Tradition hat. Die Indianer Nordamerikas benutzen Süßgrasräucherungen für Friedens- und Heilrituale. Gute, hilfreiche Geister lieben den Geruch von Süßgras, so heißt es in der indianischen Tradition. Das Verbrennen von Süßgras ziehe positive Energien an.

Süßgras duftet beim Verbrennen süß nach frisch geschnittenem Gras und erinnert an Waldmeister. Ein angenehmer Wellness-Duft, der entspannt und heiter stimmt. Süßgras-Räucherungen schaffen eine angenehme, reine Atmosphäre des inneren Loslassens und der Leichtigkeit.

Die langen Grashalme werden abgeschnitten, getrocknet und zu einem Räucherzopf geflochten. Dieser wird angezündet, wieder ausgeblasen und glimmt langsam weiter. Man legt ihn in eine feuerfeste Schale. Das trockene Mariengras kann auch klein geschnitten und Räuchermischungen beigemischt werden.

Vom Kräuterbüschel und den Raunächten

In den Raunächten – den zwölf mythischen Nächten zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag – aber besonders auch zu Zeiten von Krankheitsfällen der Bewohner räuchert man noch heute in ländlichen Gebieten Süddeutschlands, besonders in Bayern, mit den Kräutern des heiligen Kräuterbüschels. Im Allgäu werden am 15. August, an Maria Himmelfahrt, besondere Kräuter, meist sind es 9, 15 oder gar 77, gesammelt. Es sind alles ursprünglich rituell verwendete Heilpflanzen, deren Gebrauch sich bis in die keltisch/germanische Zeit zurückverfolgen lässt. Sie werden zu einem Strauß zusammen gebunden und mit Bändern geschmückt. (Siehe dazu Susanne Fischer-Rizzi: Medizin der Erde).

Nachdem das Büschel in der Kirche geweiht wurde, hängt man es im Herrgottswinkel auf. Vom Büschel zupft man einige Kräuter, zerreibt sie, mischt sie manchmal mit etwas Weihrauch und räuchert alles zusammen. Diese Mischung soll besonders heilkräftig sein, weshalb man damit auch im Krankenzimmer räuchert. Sie kann, so sagt man, die Genesung von Kranken beschleunigen. Die Kräuterbüschel-Mischung eignet sich gut zum Räuchern im Winter. Sie vermittelt die Kraft vieler Heilpflanzen des Sommers. Warum also sollten wir nicht auch heute die Nächte zwischen Weihnachten und dem 6. Januar nutzen, um das Vergangene zu bereinigen und uns auf das neue Jahr einzustimmen?