Phänologisches Chaos, aber schön!

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Zur Erinnerung: Die letzte Frühlingsphase, der Vollfrühling beginnt mit der Apfelblüte. Etwa zur gleichen Zeit erfreut uns der Flieder. Die nächste »Jahreszeit« nennt sich Frühsommer. Ein Kennzeichen für den Beginn dieser Zeit ist die Hollerblüte. Dass sich diese Termine immer mehr nach vorn verschieben, das haben wir der Erderwärmung zu verdanken. Man gewöhnt sich daran, (der Boskop blühte 14 Tage vor normal). Was sich in diesem Jahr in Gärten und den Landschaften vollzog, stand jedoch unter dem Einfluss weiterer Klimafaktoren.

Nach dem sehr warmen und trockenen Jahr 2019, einem extrem warmen Winter, zum Teil frostigem März, knochentrockenem und zu warmem April waren alle Witterungszutaten für eine Missernte und für Missvergnügen im Garten gegeben. Die Wassertonnen waren leer, viele Stauden waren im Wachstum steckengeblieben, der Flieder vollführte eine Notblüte, die nicht einmal für die Vase taugte. Ende April sagte die Wetterprognose Regenmengen von 3 bis 7 mm voraus, Mengen die allenfalls ausgereicht hätten, um die Luft etwas anzufeuchten. Dann aber fielen hier in Eresing am 30. April und am 1. Mai über 45 mm Regen, schön verteilt über beide Tage. Die Tonnen hatten sich wieder gefüllt, der Boden duftete und fühlte sich lebendig an, und auch der Seelenzustand der coronierten Menschen hellte sich etwas auf.

In den dann folgenden 10 Tagen vollzog sich ein Wunder. Kaum jemals habe ich eine so intensive Begrünung der Gehölze erlebt. Die Hainbuchenhecke wurde in Kürze »undurchschaubar« und bildete schon lange neue Triebe. Die Haselnuss, die immer erst sehr spät Blätter austreibt, wurde schlagartig grün. Die Buchse, freiwachsende wie die der Hecken, legten unglaublich an Grünmasse zu. Und mit den Stauden vollzog sich das Gleiche. Unter der Trockenheit hatten vor allem die Akeleien gelitten. Sie blieben auch nach dem Regen relativ kurzstielig, aber sie blühen jetzt ganz manierlich. Unbeeindruckt von den Witterungskapriolen zeigen sich alle Taglilien. 'Maikönigin' und Hemerocallis minor blühen, H. lilioasphodelus sind in der Sonne voller Knospen, im Halbschatten werden sie in 10 Tagen folgen. Reich blühten die wilden Paeonia officinalis, ein Dutzend Sämlinge über den Garten verteilt. Besonders aber fällt das üppige Blattwachstum einiger Stauden auf, die sonst hier eher zurückhaltend gedeihen. Cimicifugen gehören dazu und Astilben sowie verschiedene Eisenhüte. Aruncus, der Waldgeissbart, jedes Jahr ausladender und Thalictrum aquilegifolium sind nicht minder beeindruckend mit ihren beachtlichen Gestalten.

Der Waldgeissbart, zeigt bereits Blütenknospen. Er feiert gewöhnlich Anfang Juni zusammen mit dem Holunder den Frühsommeranfang. Heute Nacht (12. Mai) sind die Eisheiligen hier eingetroffen. Man ist erstaunt über die Pünktlichkeit und dass sie überhaupt in Erscheinung treten, denn sie verschonten uns schon einige Jahre. Und nun ist eine ungewöhnliche Situation eingetreten: Betrachtet man die Eisheiligen als letzten Atemzug des Winters, dann geben sich in diesen Tagen Winter und Sommer die Hand. Denn tatsächlich erblüht gerade die erste Hollerdolde. Was noch irritierender ist: Viele Rosen zeigen schon Blütenknospen. Und unsere Rosa spinocissima alba plena, immer sehr früh, blüht bereits. Zwischen den Kiefern zeigt der Goldregen erstes »Gold« und wenn mich nicht alles täuscht, werden nach der Kältewelle die ersten Meconopsis cambrica und Klatschmohne blühen.

Sollte dieser Beitrag die Leser etwas irritieren, so sei darauf aufmerksam gemacht, dass phänologische Beobachtungen, je nach Landschaft, Höhenlage, Witterungsverlauf sehr unterschiedlich ausfallen müssen. So hat es zum Beispiel in Niederbayern diesen wunderbaren Regen Ende April nicht gegeben. Die Lage ist dort weit weniger rosig.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert