Meine Nieswurz stinkt nicht!

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In irgendeinem Garten hatte ich sie einmal gegen Ende März gesehen, diese aufrecht wachsende Staude mit den dunkelgrünen, palmartigen Blättern. Sie stand üppig mit ihren hellgrünen, rot umrandeten Blüten am Wegrand. An diesem sonnigen Frühlingstag flogen Hummeln ein und aus. Die musste ich auch haben! Helleborus foetidus lautet ihr botanischer Name, was ins Deutsche übersetzt „Stinkende Nieswurz“ heißt. Ich hatte auch erfahren, dass sich diese dekorative Staude leicht selbst aussät. So reichte mir eine einzige Staude, die ich an sonniger Stelle an die Südseite meines Erdwalls setzte. Pflanzen, die sich selbst aussäen, erweisen sich meist als besonders robust.

Erinnerung an Jürgen Dahls Stinkgarten

Kaum war der Schnee nach diesem langen Winter geschmolzen, blühte meine Nieswurz in voller Pracht. Doch: Stinkende Nieswurz? – Um das festzustellen, machte ich buchstäblich einen Kniefall vor dieser Staude und schnupperte daran. Der erwartete - oder vermutete -Gestank blieb jedoch aus. Die vermeintlich Stinkende Nieswurz ist völlig geruchlos. Sie duftet nicht einmal. Das würde ja vielleicht den Namen erklären, denn es gibt durchaus Gerüche, die manche Zeitgenossen als Duft, andere aber als Gestank empfinden.
Jürgen Dahl hat das im Jahr 1995 zur Debatte gestellt, als er auf der Landesgartenschau in Grevenboich einen „Stinkgarten“ anlegte. Dabei lag ihm nichts ferner, als die Besucher der Gartenschau zu vertreiben. Er wollte sie animieren, an den Blüten und Blättern zu schnuppern und selber zu urteilen, ob diese oder jene Pflanze ihrer Nase nach duftet oder stinkt.

Stinkende Madonnenlilie

Darüber hat Jürgen Dahl ein Buch geschrieben „Der Stinkgarten“*. Als Beispiel dafür, wie die Empfindungen, was den Geruch betrifft, auseinander gehen können, hat er unter anderem die Madonnenlilie (Lilium candidum) aufgeführt. „... Der betörende Duft aber, der vor allem abends ein ganzes Zimmer erfüllen kann, wird von manchen, die dieses Zimmer betreten, als unerträglicher, ja unanständiger Gestank empfunden.“
Ehrlich gesagt, könnte auch ich den Duft der Madonnenlilie nicht lange ertragen. Als weitere Beispiele für Pflanzen, über deren Geruch man streiten könnte, führt Jürgen Dahl den Muskatellersalbei (Salvia sclarea), die Schwarze Johannisbeere (Ribes nigrum), den Schwarzen Holunder (Sambucus nigra), den Weißdorn und manche andere an. Ich mag den Geruch von allen dreien, auch wenn er zweifellos etwas streng ist. Auf das Schneiden meiner Schwarzen Johannisbeeren freue ich mich allein schon wegen des intensiven Geruchs, den die Sträucher dann ausstrahlen. Selbst der „Gestank“ von Tagetes kann mich nicht schrecken. Ich empfinde diese „strengen“ Gerüche wie eine Würze im Garten.
Nur meine Nieswurz ist völlig geruchlos. – Wenn sie doch wenigstens stinken würde ...

*Der Stinkgarten oder die Faszination des Gegenteils, von Jürgen Dahl, Klett-Cotta 1997, ISBN 3-608-91003-4

Wolfram Franke
aus Vaterstetten Handfeste Gartenarbeit und Schreiben, sowohl mit grüner Tinte als auch mit dem Computer, gehören für Wolfram Franke zusammen. Seinen seit 1994 gewachsenen Kreativgarten in Vaterstetten hat er mit alten Baustoffen gestaltet.
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Text und Fotos: Wolfram Franke