Gartenschicksale

Ein Beitrag von

Über Jahre hin habe ich immer wieder aus dem großen Kräuter-Schaugarten in Benkel nahe Bremen berichtet. 2009/10 war er mit hohem Aufwand angelegt worden und avancierte dann rasch zu einem Anziehungspunkt für Gartenenthusiast*innen und Kräuterbegeisterte. »Eigentlich« wollte ich mich 2017 weitgehend aus dem Garten zurückziehen, um mehr Zeit fürs Schreiben zu gewinnen. Auch deswegen rückten in meinen Beiträgen fürs »Gartenmagazin« die Bücher in den Vordergrund.

Aber, wie Bertolt Brecht sagt: »Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch 'nen zweiten Plan, gehn tun sie beide nicht.«

Ich musste mich, unter widrigen Umständen, weiter um den Garten kümmern, so gut es ging. Dann kam der Hitzesommer 2018 mit katastrophalen Folgen für die Pflanzungen, im Jahr danach wieder große Trockenheit, hinzu kam eine langwierige Erkrankung. Jetzt muss der Garten in weiten Bereichen von Grund auf erneuert werden.

Aber zum Glück hat ein großer Teil Hitze und Trockenheit, rudimentäre Fürsorge und einen ungünstigen Winter fast unbeschadet überstanden: Der Bereich für mediterrane Pflanzen, mit dem über 30 Meter langen »Lavendelhügel«, der ihn begrenzenden Trockenmauer (»Thymianmauer«) und der großen »Mittelmeerspange« für Rosmarine, Salbei-Varianten, Cistus-Arten, verschiedenste Oregano-, Ysop-, Thymian-Sorten und manche seltenen Pflanzen haben alle Herausforderungen unbeschadet überstanden.
Dieser Gartenteil war von Anfang an ein Experiment: Über einer etwa 30 Zentimeter dicken Schicht von reinem Quarzsand ließ ich beim Lavendelhügel rund 40 Zentimeter groben Kalkschotter aufschütten, baute die Trockenmauer aus dunklen Diabas-Brocken, aus denen auch die Pfade durch die Schotterfläche, ebenfalls Diabas, in dem größeren, flachen Areal bestehen. In die Pflanzlöcher arbeitete ich nur ganz wenig mageren Boden ein. Die Kräuter mussten also mit karger Kost und wenig Feuchtigkeit auskommen. Es zeigte sich: Das tut diesen Pflanzen aus den trockenen, warmen Garrigue-Biotopen gut.
Der Lavendel, extrem kalkliebend, entwickelte sich, mit fast 30 der rund 250 verfügbaren Sorten, zu einer »Mini-Provence«, in früheren Jahren – vor dem beklemmenden Schmetterlingssterben – reisten Spezialisten und Fotografen an, um die vielen Schmetterlings-, Hummel- und Bienenarten zu bestaunen und ins Bild zu bannen.

Ich habe diesen Gartenteil in all den Jahren nie gewässert und nur in strengen Winterwochen mit etwas Vlies abgedeckt. Trotzdem gab es nur wenige Verluste – zum Beispiel der elegante, hohe, stark duftende Spanische Ginster (Spartium junceum) hielt nicht durch, für Thymian-Besonderheiten wie etwa den Portugiesischen Thymian (Thymus carnosus) oder den aparten Stein-Thymian (Th. neicefferi) oder für empfindliche Salbei-Züchtungen wie den Marzipan-Salbei (Salvia officinalis 'Nazareth') und einige Rosmarin-Sorten wurde es denn doch einmal zu frostig.
Aber inzwischen sind die härteren Rosmarine (z. B. Rosmarinus officinalis 'Arp' oder 'Backnang' und 'Weihenstephan') zu brusthohen, ausladenden Büschen herangewachsen, die beiden Sträucher der Lorbeerblättrigen Cistrose (Cistus laurifolius) erreichen bald drei Meter Höhe, einige Lavendel-Sorten ('Folgate', 'Miss Katherine', 'Siesta', 'Hidcote Pink', 'Munstead' und andere) werden immer üppiger, überall säen sich im Wege-Split und im groben Schotter Oregano-Varietäten (vor allem Griechischer und Kreta-Oregano) und Mattenthymiane aus (so Th. vulgaris 'Lammefjord' und Th. v. 'Orange Spice' und Th. serpyllum 'Albus' und Th. doerfleri 'Bressingham Seedling'), sogar Sämlinge von Kriechendem Bergbohnenkraut (Satureja spicigera var. illyrica) fassen im Split Fuß.

Das Experiment ist also gelungen. In den Sommermonaten, bei der Cistrosen-, der Lavendel- und der Oregano-Blüte, geht man durch Duftwolken, und überall summen und flattern die Insekten an den Blüten. Das dunkle Gestein speichert viel Wärme, die Schotterlage wirkt wie eine Feuchtigkeit haltende Mulchdecke, und das kalkhaltige Milieu tut ein Übriges.

In diesem mediterranen Teil des Schaugarten stehen auch einige Besonderheiten, an die ich nur durch Zufall geriet, manchmal war es ein Geschenk von guten Freunden, manchmal auch eine »Laune der Natur«. So hält sich seit Jahren durch alle Winter hindurch ein inzwischen großer Busch einer leuchtend silbrigen Verwandten des Currykrauts, eine Helichrysum-Art also, die aus Südafrika stammt (H. moeserianum), deren in Büscheln stehende, gelbe Knopfblüten jetzt gerade verblühen. Die Art verkahlt im inneren Bereich, wie viele Strohblumen, relativ rasch, bildet aber immer neue, verzweigte, dicht stehende Triebe, so dass der »Silberbusch« das ganze Jahr über ein Blickfang bleibt. Auch eine sehr elegante, relativ großblütige Katzenminze bekam ich geschenkt. Die Griechische Katzenminze (Nepeta parnassica) wird fast einen Meter hoch. Die zu lockeren Kerzen angeordneten, blau-violetten Blüten locken Schmetterlinge an, besonders Zitronenfalter, was eine wunderbare Farbkombination ins Bild bringt. Ein noch nicht näher bestimmter Stechginster (Ulex) wächst langsam zu einem stattlichen Busch heran – auch diese Ginster gehören zu den typischen Macchia-Pflanzen.

Und dann stehen in meiner kleinen, norddeutschen Macchia zwei inzwischen auch schon umfängliche Büsche einer absolut winterharten, graulaubigen Cistrose, die es tatsächlich nur bei mir – und inzwischen auch in der unvergleichlichen Gärtnerei Gaißmayer – gibt: In einem Spalt zwischen den Klinkern meiner Terrasse hatte sich ein kleines Sträuchlein ausgesät, das ich zu allererst für einen Salbei hielt. Es erwies sich aber, mit den Blättern und den ersten Blüten, rasch als typische Cistrose. Ich halte eine ganze Reihe verschiedener Cistrosen in Kübeln, und da hatten sich offenbar zwei Arten verpaart, von denen ich nur Cistus incanus ziemlich sicher erschließen kann. Der Strauch, der rasch wuchs, überstand alle Winter ohne jeden Schutz – ich war verblüfft und begeistert. Bald schnitt ich Stecklinge, weil ich vermutete, an dem Standort würde ein größerer Strauch nicht lange durchhalten. So war es auch, aber ich hatte inzwischen viele junge Klone. Zwei pflanzte ich im Schottergarten aus. Sie sind schon nach wenigen Jahren ziemlich groß geworden, verlieren im Winter kein Blatt und blühen im Juni über und über – wie bei allen Cistrosen halten sich die Blüten nur für wenige Stunden, am Nachmittag trudeln die leuchtend blau-rosa Blütenblätter zu Boden, aber am nächsten Tag haben sich wieder Dutzende neue Insektenmagnete geöffnet. Der Duft ist intensiv süß, allerdings erweist sich der Zufallssämling als steril, man kann die Sorte nur über Stecklinge vermehren. Ich habe diese erstaunliche Cistrose 'Belle de Jour' getauft, nach Bunuels berühmtem Film, eben weil die Blütenschönheiten immer nur einen Tag zu bewundern sind.

Der über Erwarten gelungene Mittelmeerteil des Schaugartens tröstet mich über die massiven Verluste ein wenig hinweg, die weite Bereiche des übrigen Gartens erlitten haben. Ich gehe jetzt an die umfängliche Renovierung. Allein schaffe ich das nicht. Um Helfer zu engagieren, Substrate und Materialien zu beschaffen, dann auch die Beete wieder zu bestücken, braucht die kleine, gemeinnützige GmbH, die ich für den Garten gegründet habe, Unterstützung. So bitte ich auch an dieser Stelle um Spenden – auf www.eschels-garten.de steht dazu Näheres.

Ludwig Fischer
Garten und Literatur Bis Ende 2017 berichtete Ludwig Fischer aus seinem großen Kräuter-Schaugarten in Benkel nahe Bremen, von dem er Abschied nahm, um sich von nun an stärker aufs Schreiben zu konzentrieren.
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Text und Fotos: Ludwig Fischer