Ein Gartenrundgang Mitte November 2020

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Fällt das Laub, dann hat uns der Spätherbst im Griff. Manche Bäume halten sich nicht daran und beginnen schon viel früher ihr Laub abzuwerfen. Die allerersten waren die Felsenbirnen, dann kam der Apfelbaum. Es folgte die Haselnuss, die eine Betrachtung wert ist. Sie blüht meistens schon im Januar, lässt sich mit dem Laubaustrieb aber mehr Zeit als andere Gehölze. Es heißt, sie gehört zu den wenigen Gehölzen, welche die Eiszeit nördlich der Alpen überlebt haben. Vielleicht, weil sie ihre Assimilationszeit auf ein Minimum reduzieren konnte? Der Perückenstrauch, Cotinus coggygria dagegen, südlich der Alpen zu Haus, wird in diesem Jahr seine purpurne Pracht zeigen können. Nach Frösten werden seine Blätter unansehnlich und fallen ab. Diesmal, ohne Frost, werden sie, wie an den Kalkfelsen in Oberitalien, prächtig rot. 

Der kleine Garten wird auf einmal größer. Mehr Licht dringt ein und erweitert den Blick. Da fallen immergrüne Gehölze und Stauden auf, die bislang fast im Verborgenen standen und nun voll hervortreten. Jetzt tauchen unerwartete Buchssämlinge auf, auch Nachkommen von Eibe und Tanne werden  sichtbar. Das wunderschön gezeichnete Laub der Alpenveilchen (Cyclamen) kommt zwischen dem goldbraunen Laub der Haselnuss besonders zur Geltung. Die Un- und Überzahl an Nieswurz und Lenzrosen weckt in mir aggressiven Tatendurst. Lassen wir das. Auf dem Kräuterbeet tummeln sich nicht etwa die „Immergrünen“ sondern die »Immersilbrigen«: Wermut, Lavendel, Salbei. Viel zu sehr hat sich Lychnis coronaria, die Samtnelke vermehrt, auch ein Silberling, dessen Ausbreitung etwas gedrosselt werden muss. Und weiter: Die Rosetten der Olympicum-Königskerzen, samtige Silberlinge, versprechen einen großen Sommer. Und eine Rarität gibt es da auch noch: Nach mehreren Jahren langsamen Wachstums wird, so die Witterung es zulässt, Seseli gummiferum, der Graue Bergfenchel, wieder einmal blühen. Dieser Doldenblütler stirbt nach der Blüte ab: eine Pflanze, die viel Geduld abverlangt. Seine Blüte ist Zukunftsmusik.

Auch für die Musik, die jetzt noch spielt, sollte man ein offenes Ohr haben. Die letzte Ringelblume (Calendula), die letzten Blüten der Dreimaster-Blume (Tradescantia), selbst Meconopsis cambrica, der Wald-Scheinmohn, und das Löwenmaul (Antirrhinum) finden in diesem Herbst keine Ruhe, keinen Schluss. Am sensationellsten ist die Standfestigkeit und noch üppige Blüte von Nicotiana alata. Selbst ein leichter Bodenfrost hat diesem wunderschönen Ziertabak nicht geschadet. Wenn es einen sehr milden Winter geben sollte, was ich nicht hoffe, dann überlebt er und treibt wieder aus. Wer nicht so lange auf die Blüte neuer Sämlinge im nächsten Jahr warten will, der gräbt den Tabak aus und überwintert ihn irgendwo kühl. Die Tabake sind nämlich eigentlich Stauden

Wird das nun in Zukunft immer so sein? Wird der Herbst immer länger? Werden wir auf den reinigenden frostharten Winter verzichten müssen? Gern würde ich auf die Blüten Mitte November verzichten, wenn es dafür wieder einmal ein »normales« Jahr gäbe. Zum Abschluss möchte ich noch berichten, dass ich vor 5 Tagen einen noch jungfräulichen, gerade geschlüpften Admiral gesehen habe. Das war der erste in diesem Jahr, in vergangenen Jahren gab es Dutzende, aber schon im September zur großen Asternzeit.

 

 

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert