Der Artenschwund ist sichtbar

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Es war ein Blau, ein hinreißendes Blau, das da vor mir her flog und wieder verschwand.
Ein Bläuling, schon lange nicht mehr gesehen. Ein Tag zuvor war es ein Zitronenfalter. Vor Wochen sah ich einen Aurorafalter mit seinen orangen Vorderflügeln. Ist so etwas der Erwähnung wert? Heute leider schon. Aber es ist nicht nur die Schönheit der Natur, die verloren geht. Ich habe in diesem Jahr erst eine einzige Schwebfliege gesehen, keine Florfliege und keinen Marienkäfer!! Wo bleibt da der biologische Pflanzenschutz? Oder wird es auch bald keine Blattläuse mehr geben?!

Wir müssen uns stets vor Augen führen, wie eng die Tier- und Pflanzenwelt miteinander verwoben ist. Pflanzen gäbe es nicht ohne Tiere, Tiere nicht ohne Pflanzen. Und unsere heutigen Blumen-Pflanzen gäbe es nicht ohne Insekten. In der Kreidezeit (145 – 66 Mio. Jahre zurück) tauchten die ersten bedecktsamigen Pflanzen auf und die ersten noch sehr einfach gebauten Blüten z.B. der Magnolienartigen. Für Ihre Bestäubung kamen schon viele Insekten in Frage, vor allem aber Käfer. Im Tertiär (65 – 2,6 Mio. Jahre zurück) wuchs die Zahl der Insektenarten rapide an. Die Hautflügler (z.B. Bienenartige und Ameisen), die Schmetterlinge und die Schwebfliegen kamen auf. Mit ihnen und auch durch sie wuchs die Vielfalt der Blütenpflanzen gigantisch an. Während die Vögel, die es seit dem Tertiär gibt, die Samen der Pflanzen in die Welt verbreiten, sorgen die Insekten durch ihre Bestäubung für Vermehrung und Artenvielfalt. Die Blütenpflanzen ihrerseits verändern sich. Zwar bleiben alte, einfache Formen erhalten, wie z.B. beim Buschwindröschen, das nicht einmal Kelchblätter hat, andere bilden jedoch immer kompliziertere Blüten - etwa die Akelei oder der Eisenhut, um bei derselben Pflanzenfamilie zu bleiben. Hier handelt es sich um eine Anpassung an „moderne“, gewandtere Insekten, wie die Hautflügler. Die jüngsten Pflanzenarten haben den kompliziertesten Blütenbau, so Lippenblütler wie der Salbei oder die Braunwurzgewächse wie das Löwenmäulchen. Sogar die Korbblütler sind jung und kompliziert, wenn man die Einzelblüten genau anschaut. Manche Pflanzen legen sich sogar auf eine Insektenart fest, ein riskantes Spiel für beide Partner. Die jüngste Familie, die Orchideen, wartet mit einigen Arten auf, die Insektenmännchen mit ihrer Blüte ein Weibchen vorgaukeln, und sie so zu einer Pseudokopulation animieren.

Eine besondere Abhängigkeit voneinander gibt es also bei einigen Spezialisten. Aber auch die nicht besonders eng an ein spezielles Insekt gebundenen Blütenpflanzen sind wählerisch. Eine Bienenblume kann mit einem Schmetterling nichts anfangen. An einer Nachtfalterblume haben Tagfalter kein Interesse, sie schlafen nachts. Eine Vogelblume ist ganz und gar auf Vögel, meist Kolibris eingestellt. Und es gibt sogar Fledermausblumen, z.B. die Cobaea scandens.

Die Bestäubung steht beim Verhältnis Pflanze - Insekt immer im Vordergrund. Dabei gibt es eine zweite Beziehung, die genauso wichtig ist. Sehr viele Insekten leben in ihrem Raupenstadium von Pflanzen. Und da sind sie viel stärker spezialisiert als beim Bestäuben. Gehen ihre speziellen Futterpflanzen durch die Vernichtung von Naturräumen verloren, sterben die Insekten aus. Die Tragik und Komik der Geschichte: Viele Insekten sind auf landwirtschaftliche Kulturen spezialisiert, auf Mais, Kartoffeln, Raps. Da werden sie nach allen Regeln der Agrarchemie bekämpft. Unschuldige Opfer sind die anderen, die „Schädlinge“ kommen unter den gegebenen Agrarverhältnissen jedes Jahr neu.

Bio-Landwirtschaft ist auf die Hilfe von „Nützlingen“ angewiesen. Da tut sich künftig ein gewaltiges Problem auf.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert