Vollfrühling im Auenwald

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Das typische Aprilwetter, kühl und wechselhaft, endet gewöhnlich um den 20. April (aber was heißt heute „gewöhnlich“ bei den Wetterkapriolen der letzten 10 Jahre?). Wenn es denn relativ normal zugeht, bereitet nun in den folgenden zwei Wochen die Natur ihren ersten großen Höhepunkt vor, den Vollfrühling.

Im Auenwald ändert sich das Bild. Die Gehölze zeigen erstes Grün. Die Traubenkirsche, Prunus padus, blüht. Am Boden deckt das Laub von Bärlauch, Allium ursinum, den Boden so vollständig, dass von den Anemonen und Leberblümchen kaum noch etwas wahrzunehmen ist. Eine er-staunliche Ordnung und Ruhe ist eingekehrt, ohne dass ein Gärtner eingegriffen hat.

Im eigenen Garten in Eresing erleben wir dieses Phänomen jedes Jahr: kaum sind die Winterlinge verblüht, beginnen auf derselben Fläche die ersten Lerchensporne, Corydalis cava, zu blühen. Und eine Woche später lassen ihre weißen Blüten die Winterlinge völlig vergessen. In einem anderen Teil des Gartens lösen Maiglöckchen die Winterlinge komplett ab, der Wechsel erfolgt allerdings ein paar Wochen später. Das Miteinander dieser beiden Arten ist so dicht, dass für andere Pflanzen („Unkräuter“) kein Platz zur Verfügung steht.

Im Auenwald wird die „Monokultur“ des Bärlauchs erfreulicher Weise doch etwas durchbrochen. Hier blüht eine Gelbe Taubnessel, wahrscheinlich Lamium montanum, dort schaut ein Trieb des Salomonsiegels, Polygonatum multiflorum heraus. Und wenn man sich dichter auf den Boden begibt, findet man das Laub von Asarum europaeum, der Haselwurz.

Was sich mit einigen Knospen zaghaft andeutete, wird zwei Wochen später zu einem weißen Bärlauchmeer. Vor zwei Monaten war der Boden weiß durch Leucojum vernum, nun durch Allium ursinum! Ein intensiver Knoblauchhauch liegt in der Luft. Doch trotz der weißen Fülle gibt es Überraschungen, die zwar einzeln stehen, aber umso mehr die Aufmerk-samkeit auf sich ziehen. Da eine Einbeere, Paris quadrifolia, dort eine Türkenbundlilie, Lilium martagon, beide noch im Knospenstadium. Kurz vor dem Erblühen der Salomonsiegel. Phyteuma spicatum, eine gelbe Teufelskralle, zeigt ihre blühende Ähre. Und mit Liebe von der Natur als Kontrast inszeniert: der hellviolette Hauch von Thalictrum aquilegifolium.

Was sich flächendeckend andeutet, das sind Gierschblätter. Hat der Giersch da etwa auch noch Platz? Dazu mehr im nächsten Beitrag, der sich mit dem Frühsommer befassen soll.


Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert